Schwäche zeigen ist stark

Foto (c) Michael Hartl

Man kann vieles wollen und trotzdem nicht zum Ziel kommen, sagt Michaela Ziegler. Sie wünscht sich eine Gesellschaft, in der Lebensleistungen mindestens den gleichen Stellenwert bekommen wie Arbeitsleistungen.

VOLL50: Wann bist Du in Deinem Element?

Michaela Ziegler: Wahrscheinlich war ich in einem früheren Leben eine Nixe oder wohl eher eine Seekuh. Ich liebe es im Wasser zu sein, am liebsten im Meerwasser. Wenn es wohltemperiert ist, könnte ich Stunden darin verbringen.

Wenn ich in einer Runde mit feinen Mensch bin – egal, ob es sich um eine private Runde oder eine Seminarrunde handelt, in der ich mich wohlfühle. Ich liebe es, über Gott und Göttin zu philosophieren, zu diskutieren, zu blödeln und lachen und zu lernen. Gerade wenn es um Schreiben, Sprache und Wortwitz geht, fühle ich mich in meinem Element.

VOLL50: Womit macht man sich mit voll50 nicht mehr nass?

Michaela Ziegler: Mein erster, zugegeben flapsiger Gedanke beim Lesen dieser Frage war ‚mit Abwaschwasser‘. Doch damit werden meine Hände trotz Geschirrspüler noch öfters in Kontakt kommen.

Ich mag mich nicht mehr nass machen wollen mit Funktionieren im Sinne von mich selbst ausbeuten. Mittlerweile nach vielen Lehrjahren habe ich es geschafft, mich auch mit meinen Schwächen zu zeigen und darüber reden zu können. Ich habe es (meistens) abgehakt, allen beweisen zu wollen, dass ich alles allein schaffen kann. Weil es nicht stimmt. Darum bin ich sehr kritisch, wenn ich höre, dass man alles schaffen kann, wenn man nur will.

Das Leben spielt sich irgendwo zwischen Selbstwirksamkeit und Abhängigkeiten ab. Wir Menschen sind im Grunde soziale Wesen, brauchen einander von der Wiege bis zum Tod. Eine Ziel, das ich erreichen will, bedingt oft ein Gegenüber, für das ich aber nicht bestimmen kann.

Ich finde sehr wohl, dass man selbst das Möglichste tun kann, um die Chance zu erhöhen, etwas zu bekommen oder zu erreichen. Aber zu 100 Prozent geht das nicht. Es gibt Limitierungen, da kann ich hüpfen, springen, mich am Kopf stellen. Ab einem gewissen Punkt liegt die Erreichung eines von mir angepeilten Ziels nicht mehr in meiner Macht.

Mein selbst erlebtes „Paradebeispiel“ ist die Arbeitssuche, gerade für viele Menschen wieder ein aktuelles Thema. Ein Geburtsdatum in den 60er oder 70er Jahren auf Bewerbungsdokumenten ist eine Limitierung. Da musst auch bei guter Ausbildung und Qualifikation extremes Glück haben.

Oder frage Menschen, die gern eine erfüllende Partnerschaft hätten. Oder Menschen, die einen unerfüllbaren Kinderwunsch haben. Alle werden ihr Möglichstes tun, um ihr Ziel zu erreichen. Trotzdem werden es nicht alle schaffen. Will man diesen Menschen sagen, jeder ist seines Glückes Schmied oder man kann alles erreichen, wenn man nur will? Und wenn sie das Gewünschte nicht erreichen, dann sind sie selbst schuld, weil sie sich zu wenig angestrengt oder etwas falsch gemacht haben? Ein zynischer Lebensblick auf das Leben. Das führt zu einer sehr unempathischen, unsolidarischen und leistungsorientierten Gesellschaft mit zu vielen allmachtsfantasierenden Individuen.

Darum finde ich es so wichtig, nicht nur meine Stärken, sondern auch Schwächen zu zeigen, um vielleicht auch andere Menschen damit zu inspirieren. Wenn das Kreise zieht, erhöht sich die Chance, wieder mehr füreinander als gegeneinander da zu sein.Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Lebensleistungen mindestens den selben Wert bekommen wie Arbeitsleistungen. Dann können wir uns alle auf Augenhöhe begegnen. Das brauchen wir dringend.

VOLL50: Was bedeutet für Dich Selbstschutz?

Michaela Ziegler: Die Wahl zu haben, was von mir sichtbar sein darf und was nicht. Ich schreibe selbst einen kleinen Blog, in dem ich mein Leben als Frau von Format thematisiere(n wollte), doch ich merke, dass es mir oft schwer fällt, mich dazu öffentlich/sichtbar zu machen. Dabei ich hätte einiges zu sagen, gerade über die gesellschaftlichen Bilder von dicken Menschen.

Selbstschutz ist für mich, auch mal den Mund zu halten und mir gut zu überlegen, mit wem ich worüber diskutiere und ob es der Situation förderlich ist. Da spare ich mir lieber die Energie und mache selbst das Beste, das mir möglich ist. So jongliere ich gemäß meinem jeweiligen

Gefühlsbarometer zwischen sichtbar und unsichtbar. Was aber die Schützefrau in mir dann wieder in Rage bringt. Sie hat immer wieder Angst, unscheinbar zu werden, was bei einer Frau von Format eher unwahrscheinlich ist. 🙂 Ich arbeite noch an Strategien für meinen Selbstschutz, die kräfteschonend, wirkungsvoll und effizient sind.

Voll50: Wofür sollte man mit voll50 eine Fünftagewoche auf eine Siebentagewoche ausdehnen?

Michaela Ziegler: Konfuzius wird der Satz zugeschrieben: „Wenn Du liebst, was Du tust, wirst Du nie wieder in Deinem Leben arbeiten.“ Ich träume von einer Welt, in der wir mit dem, was wir lieben, unser Leben finanzieren, unseren Talenten Raum geben können und diese nicht im Arbeitsalltag beiseite geschoben werden müssen. Wenn wir die Chance haben, dass der Beruf und daraus resultierend die Arbeit mehr der Berufung folgen dürfen als der Notwendigkeit, den Lebensunterhalt zu sichern – wobei das eine das andere nicht ausschließt, aber nicht die Regel ist -, dann würde ich auf jeden Fall für die Siebentagewoche plädieren. Ich bin fest der Überzeugung, dass es unserer Gesellschaft und auch der Wirtschaft in jeder Hinsicht gut tun würde, wenn Arbeit auch zur ausübenden Person passt.

VOLL50: Wo erlebst Du einen Zustand der inneren Ruhe?

Michaela Ziegler: Ich sollte nun wohl antworten bei Meditation und Yoga 🙂 So ist es aber nicht. Es sind Momente, wie mit meinen Katerbuben am Sofa liegen und sie es sich auf oder neben mir gemütlich machen (was nicht immer gemütlich für mich bedeutet, wie mitlesendes Katzenpersonal bestätigen kann). Wenn ich auf meiner Terrasse sitze, rundum Stille herrscht und ich einfach nur schaue und atme und die Vögel im Flieder beobachte. Wenn ich mit einer lieben Freundin spazieren gehe, in der Natur bin, alles wie mit Kinderaugen betrachten und sich die Welt einmal für eine gewisse Zeit nicht mit Hochgeschwindigkeit dreht.

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