Schritt für Schritt im Walzertakt

Glauben, lieben und hoffen sind für Judith Essani die drei Werkzeuge, um für ein Leben mit voll50 gerüstet zu sein. Manchmal hilft auch Singen, Tanzen und die Poesie.

Voll50: Wann wird Verlässlichkeit mühsam mit voll 50?
Judith Essani:


immer und immer
rastlos
ohne unterlass


immer und immer wieder
glauben
lieben
hoffen
immer und aller vernunft zum trotz!


glauben
lieben
hoffen

VOLL50: Was muss passieren, damit sich ethische Grundsätze wandeln?
Judith Essani:


trotzdem festhalten
am guten
am schönen
und wenn auch alle lachen

trotzdem festhalten
am fröhlichsein
am singen
und wenn die tage bleiern scheinen

trotzdem festhalten
am leben
an der liebe
an der hoffnung

VOLL50: Werden die Schritte kleiner?
Judith Essani:


schritt für schritt
bisweilen im sauseschritt
nehm ich die liebe mit


schritt für schritt
manchmal im walzertakt
geb ich gut acht

schritt für schritt
nehm ich die hoffnung mit
am horizont


erklingt mein lied

VOLL50: Wann sollte sich Sensibilität zeigen?
Judith Essani:


a day
without you
is not a day.


it lacks sunshine
it lacks sugar
it lacks

VOLL50: Woran merken wir mit voll50, dass wir wahrgenommen werden?
Judith Essani:

Meine Wirkung nach außen ist mir nicht wichtig. Wenn ich nach “ innen“ etwas bewirken kann – sei es durch Musik oder Poesie – freut mich das viel mehr!

Wenn die Kompromisse weniger werden

Seit 30 Jahren ist Elena Proksch verliebt in Italien. Sie lebt in zwei Welten, knüpft auch im reiferen Alter noch Freundschaften und hat glaubt an Selbstwirksamkeit in einer Beziehung.

VOLL50: Welches Vorbild hattest Du für das Voll50-Alter?
Elena Proksch: Man mag es kaum glauben, aber mein Vorbild war meine ehemalige Klassenvorständin vom Gymnasium. Seit der Matura sind jetzt 40 Jahre vergangen, und seit einigen Jahren habe ich wieder Kontakt mit ihr. Ich habe mir immer gedacht: „Wenn ich so drauf bin in diesem Alter und so mein Leben organisieren kann – das wäre toll.“ Die macht einfach ihr Ding, ist sicher nicht everybody’s darling. Sie hat eine Wohnung, ist Single und viel unterwegs. Sie hat keinen Computer und kein Handy, und trotzdem schafft sie alles. Ihr sozialer Zirkel hilft ihr, wenn sie es braucht. Sie ist kunst- und kulturinteressiert, hat immer etwas zu tun. Auch wenn sie ein wenig chaotisch ist: Sie ist sehr engagiert und so was von wach im Geist, dass wir Jüngere nicht wacher sein könnten. Und ich finde es toll, mit jemandem befreundet zu sein, der 20 Jahre älter ist. Das möchte ich später auch haben.

VOLL50: Hast Du das Gefühl, dass sich die Welt in unserem Alter schneller oder langsamer dreht?
Elena Proksch: Definitiv schneller, wobei ich nicht so sehr glaube, dass es mit unserem Alter zu tun hat. Seit es Computer, Email und Handy gibt, hat keiner mehr Geduld, alle wollen alles sofort. Es kommt uns vielleicht so vor, dass sich die Welt schneller dreht, weil wir das andere noch kennen, und die Jungen kennen es nicht. Wir wissen, dass es anders auch funktioniert hat. Wir haben auf einen Brief gewartet und sind auch nicht gestorben. In manchen Belangen hat es aber durchaus etwas für sich, dass man etwas schneller regeln kann. Aber zwingend notwendig ist das nicht. Und dann sollte man auch einmal „Stopp“ sagen, wenn etwas zu pushy wird.

VOLL50: In welchen Bereich hören sich mit voll50 die Kompromisse auf?
Elena Proksch: Bei mir haben sich die Kompromisse mit 48 aufgehört, als ich beschlossen habe, mich selbständig zu machen. Ich konnte meine inkompetenten Vorgesetzten einfach nicht mehr ertragen, die deutlich überbezahlt waren. Und da habe ich beschlossen, dass sich etwas ändern muss. Die Frage war: „Was kann ich gut genug, damit ich bis zu Pension gut davon leben kann?“ Ich habe glücklicherweise und auch überraschenderweise zwei Sachen gefunden. Es ist einfach so: Ich will mich nicht mehr mit Leuten umgeben, die inkompetent sind, die meine Energie rauben, und ich glaube sehr wohl, dass das eine Alterserscheinung ist, diese Art von Kompromissen nicht mehr zu machen. Im Freundeskreis müssen wir vermutlich toleranter sein, weil auch wir nicht fehlerfrei sind, aber auch hier sortiere ich aus. Das betrifft vor allem Menschen, wo das Geben und Nehmen sehr einseitig gehandhabt wird. Da wird der Kontakt dann einfach weniger. Und die Lücke füllt sich eh wieder.

Als ich jung war, hatte ich immer die Befürchtung, dass man im fortgeschrittenen Alter keine tiefen Freundschaften mehr schließen kann. Die meisten meiner Freundinnen kenne ich, seit ich 14 war. Doch zum Glück hat mir das Leben gezeigt, dass man sehr wohl im gereifteren Alter auch noch Freunde finden kann. Nur glaube ich, dass man länger braucht, bis man eine Verbindung herstellt. Aber es ist möglich.

VOLL50: Wie würde der Titel einer Biographie über Dich lauten, wenn Du ihn Dir aussuchen könntest? Und warum genau so?
Elena Proksch: Der würde „Verliebt in Italien“ heißen. Das begleitet mich seit 30 Jahren. Warum ich in Italien verliebt bin, weiß ich gar nicht so genau. Aber unsere Maturareise führte dorthin, mit 17 waren wir statt des Schikurses in Rom, und ich weiß noch, als ich im Borghese-Park gestanden bin, beim Teich, beim Tempel. Damals habe ich mir gedacht: „Das gefällt mir, das ist meins, da will ich her.“ Und dann hat mich noch ein junger, hübscher Italiener angesprochen. Mit 17 ist man empfänglich, mit der Schule ist es unmöglich, aber dennoch hat es mir gefallen. Und als mein Vater dann vor 30 Jahren in Italien eine Immobilie erworben hat, war’s für mich natürlich leichter, hin und her zu fahren. Inzwischen habe ich in Italien auch sehr viele Freunde, und ich bin sehr dankbar dafür, in zwei Welten leben zu können.

VOLL50: In welchem Bereich widerspricht sich Selbstwirksamkeit und Beziehung?
Elena Proksch: Ich habe keine Partnerbeziehung, deshalb kann ich zum Thema Beziehung schwer etwas sagen. Trotzdem glaube ich, dass es keinen Widerspruch zwischen Selbstwirksamkeit und Beziehung gibt. Ich glaube, es ist machbar, aber nur mit ganz viel Toleranz.

www.verliebt-in-italien.at/

www.1a-assistentin.at

„Schleifstein für die Schärfe meiner Argumente“

Der Vergleich macht unsicher, deshalb sollte frau davon die Finger lassen, sagt Aline Halhuber-Ahlmann. Was sie schon früh gelernt hat: Bedürfnisse sind berechtigt.

VOLL50: Wie spürt frau, dass sie die Kontrolle abgeben und vertrauen darf?
Aline Halhuber-Ahlmann: Oh jeee Kontrolle abgeben, das ist eine knallharte Prüfung für mich. Aber das ist nicht unbedingt altersabhängig – je geborgener ich mich fühle und je ausgeglichen ich bin, um so leichter fällt es mir. Mit zunehmendem Alter nimmt diese Gelassenheit zu, weil ich die Erfahrung habe, dass selten etwas richtig schlimm ist, was ich kontrollieren kann. Krankheit, Abschiede, Tod – das ist wirklich lebensverändernd und entzieht sich total unserer Kontrolle.

In einer schwierigen Zeit in meinem Leben habe ich angefangen mich bei allem, was mich aufregte oder gar in Verzweiflung stürzte, zu fragen: „Ist das jetzt wirklich wichtig im Hinblick auf den Fortbestand des Universums“ – mit der Erweiterung „meines Universums“. Da bleibt wenig übrig und macht große Dramen auch „klein, übersichtlich und bewältigbar“.

Ich spüre es deutlich, wem ich vertrauen kann, und Erfahrung hilft natürlich auch. Allerdings nehme ich es auch nicht mehr so tragisch, wenn ich falsch lag – ist das die oft bemühte Altersmilde?

Vertrauen ist ein schönes Gefühl, es gibt mir Geborgenheit und Sicherheit bei Freund*innen und in der Familie. Ich habe fünf Geschwister, die viel älter sind als ich (zwischen 72-83 Jahren), sie sind mir kraftvolle Vorbilder für das Älterwerden, auch wenn sie sich selten altersadäquat verhalten…aber was ist schon altersadäquat?

VOLL50: Äußern wir mit voll50 unsere Bedürfnisse und Meinungen anders als mit 30, 40?
Aline Halhuber-Ahlmann: Ja, nicht immer, aber immer öfter. Wobei ich unterscheiden muss: eigene Bedürfnisse wahrnehmen ist die wichtigste Voraussetzung dafür, sie überhaupt formulieren zu können. Unsere Mutter (Jahrgang 1915!) hat uns immer gesagt „Brave Kinder sagen nichts, brave Kinder kriegen nichts“ – nicht, dass sie sich selbst daran gehalten hätte. Mir wurde aber damit auf den Weg gegeben, dass meine Bedürfnisse berechtigt sind und ich trotzdem nicht erwarten soll, dass andere meine Bedürfnisse und Wünsche telepathisch erahnen können. Wenn alle sagen, was sie wollen, dann ermöglicht das auch ein freundliches Nein – ohne dass die Beziehungswelt davon gleich untergeht.

Als „zertifizierte Nervensäge“ tue ich seid Schulzeiten meine Meinung sehr laut und deutlich kund – meist auch recht fundiert. Als Politologin und Feministin ist es mir ein Genuss zu diskutieren, weil ich überzeugt bin, dass der Feminismus die Welt für Männer* und Frauen* verbessert. Im Unterschied zu früher sehe ich die oft unfreundlichen verbalen Gegenargumente und Angriffe als Schleifstein für die Schärfe meiner Argumente.

VOLL50: Spürt frau auch ohne äußere Bestätigung ihr Charisma? falls ja, wie?
Aline Halhuber-Ahlmann: Charisma (Ausstrahlungskraft eines Menschen) ist nur in der Interaktion feststellbar – wie soll ich im stillen Kämmerlein meine Ausstrahlungskraft wahrnehmen? Ich denke, es geht um Selbstbewusstsein, Selbstwirksamkeit, Selbstbestimmung, Selbst…..das kann frau in sich spüren und mit voll50 ist es die „Ruhe in sich selbst“, die vielleicht leichter wahrnehmbar ist. Viele Frauen erzählen mir, wie sehr sie es genießen, sich selbst als Bezugsgröße zu nehmen, denn der Vergleich macht unsicher. Deshalb ist es gesund für Frauen, das nicht zu tun.

VOLL50: Was bedeutet mit voll50 Macht?
Aline Halhuber-Ahlmann: Sich als mächtig und einflussreich wahrzunehmen, ist ein sehr gutes Gefühl – die Frage ist worauf es sich bezieht. Die Macht meiner jugendlichen Attraktivität einzusetzen, um mehr Einfluss auf meine Lebensumstände zu bekommen, lässt natürlich nach, aber wie „mächtig“ hat mich diese Möglichkeit denn tatsächlich in der Vergangenheit gemacht – und vielleicht brauche ich das auch nicht mehr? Die Macht definiert Max Weber …“den eigenen Willen auch gegen Wiederstreben durchzusetzen“. Oft wollen sich Frauen mit der Macht nicht die „Finger schmutzig“ machen, weil das gesellschaftliche Bild von „mächtigen Frauen“ nicht attraktiv ist.

VOLL50: Freiheit FÜR oder Freiheit VON?
Aline Halhuber-Ahlmann: Freiheit von….

vom Schönheitsideal, vom Versorgungsauftrag für Mann und Kind (sind beide schon aus dem Haus😉) Baucheinziehen, vom Kopfzerbrechen darüber, was andere über mich denken, von hohen Schuhen, von der Frage, ob ich den Job wechseln soll, von Selbstoptimierung, vom Karriere machen müssen, von BHs mit Bügel und Spitze, …

Freiheit für…singen, netzwerken, Tanzen mit Kopfhörern an der Ampel, weil mir danach ist, einen ganzen Tag wegen Erschöpfung herumliegen, Begegnungen die Zeit brauchen, …

„Ich muss schreiben, sonst bin ich nicht lebensfähig“

Talent hilft bei der Prioritätensetzung, aber auch ein Elfenbeinturm, wenn das Leben wieder einmal zu stürmisch wird, sagt Andrea Heitz.

VOLL50: Wann kann der Austausch mit einem Gegenüber in Stress ausarten?
Andrea Heitz: Das ist eine spannende Frage. Mit voll50 habe ich mittlerweile gelernt, solchem Stress aus dem Weg zu gehen! Zumindest in meinem Freundeskreis finden sich nur mehr die Personen, die mir wirklich guttun. Die anderen, die hauptsächlich nur über sich reden und mich kaum zu Wort kommen lassen, habe ich in der Zwischenzeit „abgeschüttelt“.

Bei der Verwandtschaft & im Beruf ist das nicht so einfach, doch ich versuche, dann nicht in Stress zu geraten! Ich versuche mich in Meditation und das hilft enorm!!

VOLL50: Welche Rolle spielt mit voll50 das Talent zur Prioritätensetzung?
Andrea Heitz: Mein Talent ist das Schreiben, auch wenn ich mit beinahe 45 einen Schlaganfall erlitten habe & mit einem totalen Sprachverlust aufgewacht bin. Mit logopädischer Hilfe habe ich wieder sprechen & schreiben gelernt, das Lesen habe ich mir direkt nach dem Schlaganfall selbst beigebracht. Er dauerte lange, meinen aktiven Sprachschatz zu erneuern. Ich traute mich nicht, fremden Personen anzusprechen, weil ich dann vielleicht herumstottern würde…….Ich hatte ja kein Schild auf der Stirn: Ich hatte einen Schlaganfall!!

Für mich war das ein Drama – wenn ich motorisch etwas gehabt hätte, doch es wurde mir die Sprache geraubt. Ich schrieb damals Gedichte, Kurzgeschichten, hatte schon zwei Bände herausgebracht & zwei Romane lagen in den Schubladen. Ich verstand erst vor einem Jahr, warum ich dermaßen leiden musste. Das Leben stellte mich auf eine äußert harte Probe, doch ich bin Schriftstellerin aus Berufung. Egal, was mit meinen Büchern passiert, ich muss schreiben, sonst bin ich nicht lebensfähig. Also insofern hilft das Talent bei der Prioritätensetzung enorm.

VOLL50: Wo tanzt du am liebsten?
Andrea Heitz: Unter freiem Himmel am liebsten, doch hauptsächlich müssen unsere Wohnzimmer herhalten! Warum der Plural bei Wohnzimmer?? Wir haben ein Ferienhaus, wo wir hauptsächlich am Wochenende & im Urlaub sind. Dort tanze ich am zweitliebsten!

VOLL50: Wie können Frauen mit voll50 mehr glänzen?
Andrea Heitz: Ich hoffe, dass ich auch unter 50 voll geglänzt habe. Wenn ich meinen Ehemann glaube (wir sind nun diese Woche 20 Jahre verheiratet), glänze ich schon beim Aufwachen! Außer ich habe schlecht geschlafen, dann habe ich Staub angesetzt…Das bringt der Wechsel mit sich. Mit vollen 50 Jahren noch mehr glänzen? Diesen Frauen kann man nichts mehr vormachen, stellt Euch bitte hinten an!

VOLL50: Wann dürfen wir uns auch einmal in den Elfenbeinturm zurückziehen?
Andrea Heitz: Wann sollen sich Frauen mit voll50 in den Elfenbeinturm zurückziehen? Das dürfen gefällt mir nicht in der Frage. Regelmäßig, um die Batterien wieder aufzuladen. Ich ziehe mich zurück & mache Yoga, schreibe regelmäßig Tagebuch, meditiere, laufe regelmäßig durch den Wald. Das habe ich mit den Jahren gelernt.

„Wenn es nicht mehr passt, gehe ich“

Es braucht viel mehr Vorbilder im Voll50-Alter, sagt Regina Jungmayr. Sie zeigen uns, dass Scheitern kein Unglück ist und dass Erfahrung schneller zum Ziel führt.

VOLL50: Wird frau mit voll50 unbeugsam, wenn es um die Liebe zur Freiheit geht?
Regina Jungmayr: Definitiv. Punkt. Die Liebe wird größer mit voll50. Du wirst Dir immer mehr bewusst, dass es um Dich geht. Dass Du nichts außerhalb von Dir findest, was Du nicht in dir hast. Die Suche hört auf. Und wenn Du nicht mehr suchst, nimmst Du leichter an, was das Leben Dir gibt. Oder bist gewillter, Dich auf die Dinge einzulassen, die Dir das Leben schenkt. Aber Du suchst nicht mehr verzweifelt nach etwas. Und wenn Du nicht mehr so verzweifelt suchst, bist Du weniger abhängig von den Dinge, weil Du sie nicht haben MUSST. Und Du bist auch nicht mehr bereit, Dich um jeden Preis zu „verkaufen“. Du stehst für Tauschhandel nicht mehr zu Verfügung. Wenn Du nicht mehr so getrieben bist von der Suche nach dem, was Du glaubst zu brauchen, siehst Du es auch nicht mehr als Majestätsbeleidigung an, wenn Dich jemand nicht mag oder wenn jemand nicht im Leben bleibt, wenn ich gerne dort hätte. Man bleibt mehr im Frieden mit sich selbst und gestaltet das Leben so, wie es einem gefällt, unabhängig vom Gegenüber. Nichtsdestotrotz ist es manchmal immer noch schwierig, loszulassen oder Dinge gehen zu lassen. Trotzdem: Einen Preis dafür zu zahlen, dass jemand oder etwas im Leben bleibt, wird immer unwahrscheinlicher.

Ich habe 30 Jahre eine Ehe geführt, die gut und harmonisch verlaufen ist, zwei wunderbare Kinder und ein besonders süßes Enkelkind. Aber irgendwann war die Ehe vorbei. Meine Mama hätte gesagt, dass ich bleiben soll, dass ich mich mit 58 nicht scheiden lassen kann, doch für mich war klar: Wenn es nicht mehr passt, gehe ich. In meiner jetzigen Beziehung bin ich weit nicht mehr so kompromissbereit. Ich bin klarer, ich zeige meine Grenzen viel schneller auf. Und ich fürchte mich auch nicht mehr davor, wenn dieser Mann sich entscheiden sollte, zu gehen. Ich liebe ihn, aber ich würde mich nicht verkaufen oder still vor mich hinleiden, wie man es macht, wenn man jünger ist. Und es gilt: Mach nicht etwas aus mir, was ich nicht bin.

VOLL50: Warum braucht es Vorbilder für Frauen in unserem Alter?
Regina Jungmayr: Mir ist es – obwohl ich ein sehr selbstbewusster und selbst bestimmter Mensch bin – sehr schwer gefallen, die Trennungsentscheidung zu treffen. Auch wenn ich sie dann durchziehe. Doch es hätte mir sehr geholfen, wenn ich noch mehr Bestätigungen von Frauen bekommen hätte. Viele Frauen in meinem Alter haben mir eher abgeraten, diesen Schritt zu machen. Dass ich nicht glücklicher sein werde. Nach dem Motto: Es kommt nichts G’scheiteres nach. Glücklicherweise habe ich durch meine schamanische Arbeit viele Kolleginnen, die diesen Weg gegangen sind, weil Heilerinnen sehr oft alleine sind und sich trennen, wenn sie ihren Weg beginnen. Da habe ich viele Vorbilder gehabt, die mir Mut gemacht und mich unterstützt haben.

Aber in der Öffentlichkeit gibt es noch viel zu wenige Frauen, die das nach außen repräsentieren. Und ich glaube auch, dass wir uns astrologisch gesehen in eine Zeit gehen, wo die Rollenmodelle zwischen Mann und Frau ohnehin anders werden. Das klassische Mama-Papa-Kind-Hund-Modell werden die Jungen nicht mehr leben wollen, denke ich. Deswegen braucht es auch Frauen, die zeigen, dass sich mit 50 erst die Sinnlichkeit, die Erotik entfaltet. Beides beginnt sich in diesem Alter voll zu entfalten. Und wenn ich bisher geglaubt habe, dass es so sein muss, wie es immer war, habe ich in diesem Alter jedes Recht, das zu ändern und neu zu entdecken.

VOLL50: Streben wir mit voll50 Zielen schneller entgegen als in früheren Jahren?
Regina Jungmayr: Definitiv. Weil wir klarer und auch effizienter sind. Man hat ein Ziel vor Augen und das verfolgt man mit einer gewissen Bestimmtheit, weil man ja weiß, dass das Leben endenwollend ist. Ich glaube schon, dass man den Fokus gezielter legt. Auch weil man mutiger ist und sagt: „Das Alter spielt für mich keine Rolle, um etwas Neues zu beginnen.“ Man hat auch schon Erfahrungswerte, wie man an Dinge herangeht. Das ist anders als mit 20 oder 30.

VOLL50: Wann sind Worte wichtiger als Taten?
Regina Jungmayr: Schöne Worte sind immer eine Sache. Taten sind viel wichtiger. Aber durch meine Beruf als Heilerin weiß ich, dass Worte mächtig sind. Daß Worte magisch sind. Wortmagie war ja in alten Zeiten immer Teil der Heilung. Insofern: Ja, Worte sind wichtig. Wenn ich mich einem Menschen zuwende, ist es sehr wichtig, welche Worte ich wähle. Im persönlichen Umgang sind Worte enorm wichtig. Aber man muss sie schon immer wieder mit den Taten abgleichen. Was sagt ein Mensch und was tut er? Ist er wahrhaftig oder erzählt er Dir nur etwas?

VOLL50: Welcher Art von Druck weichen wir mit zunehmendem Alter leichter aus?
Regina Jungmayr: Jedem bevormundendem Druck, überall dort, wen jemand will, dass Du Dich irgendwo hineinzwängst oder anpasst. Ich denke mir, dass ich den Druck nicht mehr haben möchte, mich auszubrennen, mich zu erschöpfen, über meine Grenzen zu gehen. Das geht nicht mehr. Früher war der Druck da und Du hast Dir gedacht, dass Du das schon eine Zeitlang durchziehst. Das geht jetzt gar nicht mehr. Und auch das Fremdbestimmte mag ich nicht mehr. Auch glaube ich, dass sich man mit zunehmendem Alter auch selbst weniger Druck macht. Ich habe auch nicht mehr so große Erwartungen an mich selbst. Und Erwartungen erzeugen auch immer Druck. Heute denke ich mir, wenn etwas nicht klappen sollte: „Was vergebe ich mir?“ Wenn etwas nicht funktioniert, mache ich halt etwas anderes.

Scham erzeugt auch Druck, aber auch Scheitern ist ein Thema. Wenn man jung ist, geht das gar nicht, weil das Ego so groß ist. Oft denkt man sich: „Da muss ich mich schämen.“ Das gilt auch für das Thema Scheidung. Viele Frauen konnten sich nicht trennen, weil andere dann gesagt hätten: „Um Gottes Willen, das ist eine geschiedene Frau.“ Das ist meiner Meinung nach inzwischen kein Thema mehr. Oder zumindest weniger thematisiert wird. Scheitern ist ein wichtiges gesellschaftliches Thema. Würden wir damit besser umgehen, dann würde viele Dinge prinzipiell viel einfacher werden. Und der Druck auf uns und die Gesellschaft insgesamt würde sinken und vermutlich würden dann auch viel weniger Menschen scheitern. Wenn ich keine Angst vor dem Versagen haben muss, weil ich mir das Versagen leisten kann, ist der Druck weg.

Wenn Du kreativ bist und aus Dir schöpfst, dann ist ja das Produkt das wichtige. In unserer Welt muss es aber so sein, dass das auch finanziell leistbar ist, dass Du schöpfst. Die Kreativität ist aber nicht an die materielle Welt gebunden und erleidet dann einen Einbruch, wenn ich mir überlegen muss, ob ich mir das überhaupt erlauben, leisten kann. Aber vielleicht stehen wir ja aktuell an dem Punkt, wo wir die Themen Geld, Materie, Finanzen endlich einmal neu denken, dass sie uns nicht bestimmen, sondern dienen.

www.uralteweisheit.com

Freiheit ist Wahlfreiheit

Etwas zu dürfen, setzt voraus, dass uns jemand die Erlaubnis dafür gibt. In Wirklichkeit haben Frauen zu jeder Zeit ihres Lebens die Wahl, ihre Welt frei zu gestalten, sagt Anna Zwingenberger.

VOLL50: Was ist beim Austausch mit einem Gegenüber für Dich am anregendsten?
Anna Zwingenberger: Egal, ob ich mit Mann oder Frau über gesellschaftliche, politische oder private Themen diskutiere, finde ich es sehr interessant „persönliche“ Perspektiven kennenzulernen. Einerseits kann ich dadurch meinen Horizont erweitern und andererseits daraus lernen. Eine gute Argumentation, Berichte über gemachte Erfahrungen und „logische“ Erklärungen von Sichtweisen machen mich nachdenklich und (manchmal) habe ich sogar meine Meinung verändert.

Ich bin immer schon eine gute Zuhörerin und Beobachterin gewesen, die erst nach einigen Überlegungen und Abwägungen ihre eigene Meinung kundgetan hat. Aber es fasziniert mich immer wieder, wenn Menschen ihre Meinung „spontan“ anschaulich und klar erläutern können. Rhetorisches Können finde ich äußerst anregend im kommunikativen Austausch.

VOLL50: Warum darf frau sich mit voll50 (endlich) die Welt so gestalten, wie sie es möchte?
Anna Zwingenberger: In meinem Kopf bin ich noch immer nicht bei 50+ angekommen, d.h. mit den Zuordnungen und den „Schubladen“, die mit einer Person 50+ verbunden werden. Mein Körper zeigt die (ersten) Spuren des Älterwerdens, aber mein Geist ist viel jünger. Ich fühle mich oft gar nicht angesprochen, wenn andere von 50+ reden. Mein Verstand sagt mir aber, dass meine verbleibende Zeit auf dieser Erde immer kürzer wird und ich diese nach meinen Vorstellungen und meinen Ansprüchen nutzen werde.

Als voll50-Frau habe ich mit dem Verb „dürfen“ ein Problem. Die Fragestellung impliziert für mich, dass ich von einer anderen Person die Erlaubnis benötige, um etwas Bestimmtes tun zu können. Daher ist mein erster Impuls, auf diese Frage eine Gegenfrage zu stellen: Warum sollte ich meine Welt und mein Leben erst mit voll50 frei gestalten können?

Prinzipiell kann frau sich in jeder Phase ihres Lebens ihre Welt frei gestalten und alles tun, wozu sie Lust und die Motivation hat – egal ob es nun um ihre berufliche Entwicklung, um ihre gesellschaftliche Stellung und Rolle oder um ihre privaten, familiären Wünsche geht. Als junge Frau habe ich mir sicher schwerer getan, meine Wünsche und Ziele klar zu benennen. Das Leben besteht aus Höhen und Tiefen, die wir auf unterschiedlichste Weise meistern und die unseren Erfahrungsschatz vergrößern. Aber diese Erfahrungen führten mich auch dazu, dass sich eine klarere Vorstellung herauskristallisiert hat, was ich „will“ , aber auch was ich „nicht will“.

Es ist niemals zu spät, etwas Neues anzufangen oder sich neue Ziele zu stecken – der Wille und die Beharrlichkeit sind auf jeden Fall mit dem Älterwerden gewachsen.

VOLL50: Wie verändert sich die Kommunikation mit anderen im Laufe der Dekaden?
Anna Zwingenberger: Früher habe ich mir immer gedacht, keiner interessiert sich wirklich für meine Meinung, und deshalb habe ich mich immer sehr zurückhaltend verhalten. Das hat sich mit den Jahren verändert, da ich mehr Selbstvertrauen aufgebaut habe, das sich auch in meiner Kommunikation mit anderen widerspiegelt.

Durch Beruf und alltägliche Erfordernisse hat sich die gemeinsame Zeit, die ich mit anderen (Freunde, Familie) verbringe, verringert. Aber gemeinsame Erlebnisse (Urlaub, Ausflüge, „Abende zum Ratschen“, Feiern etc) bringen uns zu bestimmten Zeiten wieder näher, und das genieße ich. Es gibt Menschen, die ich monatelang nicht sehe und wenig bis gar keinen Kontakt habe, aber wenn wir uns dann persönlich treffen, ist es, als ob keine Zeit vergangen wäre. Der Vorteil des Älterwerden liegt sicher darin, dass ich mich bewusst entscheiden kann, mit wem ich mich austausche oder eben nicht austausche.

Was mich manchmal langweilt sind Themen, die schon gefühlte hundertmal besprochen wurden, jeder kennt die Perspektive des anderen und trotzdem wird darüber gesprochen, obwohl kein anderes Ergebnis als beim letzten Mal rauskommen wird. Ein solcher Austausch ist für mich mittlerweile sinnbefreit.

Ich bin aber dankbar für die technologische Entwicklung (Messenger, Social Media), die es ermöglicht, dass ich „zwischendurch“ mit anderen kommunizieren kann, um ein kurzes „Hallo“ oder „ich denke an Dich“ zu übermitteln. Dies ist für mich in den letzten Dekaden die größte positive Änderung, um mit anderen zu kommunizieren und meine Beziehungen zu pflegen.

Voll50: Muss frau mit voll50 alles dürfen?
Anna Zwingenberger: Nein, das glaube ich nicht. Es gibt immer persönliche Grenzen für unser Tun, die sich auch im Alter nicht ändern. Mir geht es mehr um das „Wollen“ als um das „Dürfen“. Ich will heute andere Dinge erleben oder mir leisten – im Vergleich zu meinen 30ern oder 40ern. Ich will meine Lebenszeit mit sinnvollen Dingen füllen, auf die ich mit Stolz und Ehrfurcht zurückblicken kann.

Nur weil ich ein bestimmtes Alter erreicht habe, heißt das ja nicht, dass ich meine Persönlichkeit und meinen Charakter ändere. Alles in meinem Kopf und in meinem Herzen hat sich über Jahre angesammelt und trägt seinen Teil zum aktuellen Status bei. Die Chancen werden zwar weniger, aber gute Chancen zu ergreifen, das kann ich mit zunehmendem Alter besser….

Ich kann alles tun, was ich will, muss keinem mehr Rechenschaft ablegen, warum ich etwas tue oder etwas eben nicht tue.

VOLL50: Freiheit oder Verbindlichkeit – FreundInnen oder FeindInnen?
Anna Zwingenberger: Für mich als Einzelkind haben Freundschaften – egal ob mit Männern oder mit Frauen – immer schon eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt. Schon früh habe ich erkannt, dass Freundschaften gepflegt werden müssen, um über Jahre hinweg bestehen und wachsen zu können. Diese Personen sind meine „frei gewählte Familie“.

Am wichtigsten sind für mich Vertrauen und Loyalität, die ich meinen Freunden und Freundinnen entgegenbringe, und diese grundlegenden Eigenschaften erwarte ich natürlich im Gegenzug von ihnen. Ehrlichkeit und gegenseitiger Respekt sind absolut erforderlich, damit Freundschaften funktionieren können und wir uns aufeinander verlassen können. Für mich bedeuten Freundschaften auf jeden Fall auch eine Verbindlichkeit, die zur Stabilität und Absicherung der zwischenmenschlichen Beziehungen beiträgt.

Ich halte mich für eine loyale und vertrauenswürdige Freundin und genau diese Eigenschaften erwarte ich auch von meinen FreundInnen. Im Fall, dass ich von jemanden mal enttäuscht werde, ziehe ich mich von dieser Person zurück und schränke den Kontakt ein. Mit voll50 habe ich genug Rückgrat, dass ich auch mal aus einer Freundschaft „aussteige“. Ich bin mir selbst genug wert, um mich von Schmerz und Kränkungen zu schützen.

Ich hoffe nicht, dass sich FeindInnen in meinem FreundInnen-, Familien- und KollegInnenkreis befinden. Vorrangig geht es mir darum, mit anderen an einem Strang zu ziehen. Das heißt, ich betrachte andere Frauen grundsätzlich als „zu meiner Spezies zugehörig“, da wir durch verschiedenste Gemeinsamkeiten schon mal eine gute Basis haben. Andere Frauen sind für mich keine FeindInnen, sondern in erster Linie „Schwestern im Geiste“. Feindschaften zu pflegen, würde zu viel Energie kosten, die ich nicht aufbringen will.

Meine Freiheit liegt vorrangig darin, dass ich mir meine Freunde und Freundinnen wählen kann, und ich dadurch auf ein stabiles Netzwerk in meinem Leben blicken kann.

„Wir können uns nicht herausnehmen aus dem Weltgeschehen“

Foto: Alex Stahl

Cornelia Stahl nähert sich den VOLL50-Fragen unter einem literarischen Blickwinkel und plädiert für Genauigkeit in der Betrachtung, Sensibilität im Umgang mit Rück- und Vorsicht sowie für Humor.

VOLL50: Welche Vorteile hat es für eine Voll50-Frau, ein lebendiges, soziales Umfeld zu haben?
Cornelia Stahl: Bevor ich auf die Frage eingehe, muss ich berücksichtigen, in welcher Lebenssituation ich mich befinde und von welchem Standpunkt aus ich argumentiere.

Antworte ich als privilegierte, weiße, europäische Frau, die mit ausreichendem finanziellen Backround ausgestattet ist? Oder habe ich als europäische, weiße Frau soeben einen Schlaganfall erlitten, der mich aus der Arbeitswelt hinauskatapultiert hat? Freunde/Freundinnen suchen das Weite. Das soziale Umfeld ist auf die Größe einer vertrockneten Zitrone zusammengeschrumpft. Im Idealfall gibt es einen Sozialstaat, der es mir ermöglicht, halbwegs an der Oberfläche zu schwimmen. Die Miete wird gezahlt und die Mindestsicherung reicht aus, um „überleben“ zu können.

Eine Frau mit irgendwelchen Erkrankungen verschwindet im Resonanzraum des Begehrens, wird nirgendwohin eingeladen, weder zu Lesungen noch zu privaten (Geburtstags)feiern. Sie hat sich zurückgezogen. Zwischen Büchertürmen oder ähnlichem hat sie sich „eingerichtet“ und fristet ein Dasein, dass nicht planbar/kalkulierbar war, mit dem sie sich jedoch arrangiert hat.

Kein Geheimnis ist, dass nur wenige Schriftstellerinnen üppig leben, die meisten von ihnen in prekären Verhältnissen. Selten sind sie ausreichend abgesichert, wie die Autorin Petra Ganglbauer in einem Interview im März 2023 berichtete.

Szenenwechsel: Außerhalb Europas: 2012 hatte ich in der Mongolei eine Frau kennengelernt, ich schätzte sie auf sechzig (Sie war fünfzig Jahre alt). Ich erinnere mich an die überwältigende Gastfreundschaft in der Einraumwohnung, der Jurte, beim Fest Tsangaan-Sar (Weißer Mond, 21.Februar), zu dem ich privat eingeladen wurde. Die Töchter kamen ab und an zu Besuch und halfen der Mutter. Kein Auto, kein Geld für Ausflüge ins Innere des Landes, an Auslandsreisen war nicht zu denken. Am Rande der Stadt zu leben ist kein Privileg, ein „Überleben“ war dennoch (irgendwie) möglich.

VOLL50: Warum liegt hinter jedem Lebensereignis ein tieferer Sinn?
Cornelia Stahl: Der Sinn erschließt sich nicht im jeweiligen Moment, sondern meistens Jahre später.

VOLL50: Wie hängen mit voll50 Rücksicht und Vorsicht zusammen?
Cornelia Stahl: In einer kapitalistischen und digitalisierten Welt ist Rücksicht nicht vorgesehen, Konkurrenz an der Tagesordnung. Im Wort Rücksicht schwingt Altruismus. Formen von Solidarität wären notwendig. Als ich junge Menschen um die Dreißig in ein Gespräch über Solidarität verwickelte, wussten diese nichts mit dem Begriff anzufangen. Innerhalb der Generationen werden die Begriffe Rücksicht und Vorsicht unterschiedlich definiert und gedeutet. Die Autorin Ulrike Draesner beschrieb die Differenzen zwischen den Generationen (und den Geschlechtern) sehr präzise im Artikel „Wenn eine Frau älter wird . Von Scham, sprachlicher Hilflosigkeit und Einsamkeit war da die Rede.

VOLL50: Welchen Zeichen sollte frau folgen, um in die Balance zu kommen?
Cornelia Stahl: Balance ist eines der Modewörter, die im täglichen Sprachgebrauch zirkulieren. Freiheit ist ein weiteres, wie die Kabarettistin Lisa Eckert 2022 in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ betonte: „Geschlechter sind fluid, (…) wir sind zur Selbstbestimmung verdammt. Es gibt nur einen Imperativ: Wir sollen gefälligst herausfinden, wer wir sind und dem müssen wir dann treu bleiben.“ Um die Frage nach „Balance“ zu beantworten, kann man die Entwicklungen der letzten Jahre, die ins Private hineinspielen, nicht ausklammern. Ein Trugschluss, den Rückzug in die Privatheit als allumfassende Lösung zu betrachten. Wir können uns nicht herausnehmen aus dem Weltgeschehen.

In der Anthologie „Wechselhafte Jahre“ von Bettina Balàka (Leykam 2023) zeigen die verschiedenen Beiträge der Schriftstellerinnen, dass es keine Handlungsanleitung fürs Älterwerden gibt. Jede Form des Alterns ist individuell, jede Form, „in Balance zu kommen“ so vielfältig wie die Lebenswege der Frauen, die in diesem Buch vertreten sind.

Die Schauspielerin und Autorin Grischka Voss hat sich 2023 in ihrem Stück F*ting Hot mit den Wechseljahren und dem Älterwerden von Frauen auseinandergesetzt. Zu ihrer Performance ins Wiener Theater Drachengasse kamen insbesondere ältere Paare, was mich zunächst wunderte, später jedoch zum Schmunzeln brachte. Sich ernst nehmen und trotzdem über sich lachen können. Humor ist, spontan argumentiert, ein brauchbares Mittel, um in Balance zu bleiben oder zu kommen.

VOLL50: Warum ist es mit voll50 manchmal so schwer, abzuwarten, bis man um Hilfe gebeten wird?
Cornelia Stahl: Die Frage ist ein Spiegel zeitgenössischer Beziehungsmuster. Eine allgemeingültige Antwort wäre an dieser Stelle unangebracht, daher verzichte ich auf eine Argumentation, da mir die Details zur Entstehung der Frage unbekannt sind.

https://literaturfenster-at.jimdosite.com/

„Dem Leben entgegengehen ist eine hilfreiche Strategie“

Fotocredit: Minitta Kandlbauer

Aus verantwortungslosen verantwortungsbewusste Menschen machen zu können – diese Vorstellung hat Bettina Baláka losgelassen. Und sie empfiehlt ein gutes Buch, wenn die Realität langsamer als die eigene Geschwindigkeit ist.

VOLL50: Sind hohe Ideale und Toleranz ein Widerspruch?
Bettina Baláka: Hohe Ideale im Großen und Toleranz im Kleinen. Bei Menschenrechten werden keine Abstriche gemacht, aber eine Carbonara mit Sahne muss keinen Nervenzusammenbruch auslösen.

VOLL50: Welche Voraussetzungen sollten mit voll50 gegeben sein, damit frau die Kontrolle abgibt?
Bettina Baláka: Die Kontrolle wird sehr gerne abgegeben, idealerweise an bewährte Leute. Um sich bewähren zu können, braucht eine Person Vorschussvertrauen. Wird dieses wiederholt enttäuscht, ist es irgendwann verbraucht. Natürlich gibt es lässlichere und gravierendere Fehler, größere und geringere Verantwortung. Die Vorstellung, Menschen „ändern“ zu können, also verantwortungslose verantwortungsbewusst zu machen, habe ich nicht mehr. Dabei sagen die, die nicht mehr mit Aufgaben betraut werden, gerne selbst: „Nur einmal noch, ich kann mich ändern!“

VOLL50: Das Leben abwarten oder das Leben erwarten?
Bettina Baláka: Manche Dinge muss man aussitzen. Manche Erwartungen werden enttäuscht. Dem Leben entgegengehen kann bisweilen eine hilfreiche Strategie sein.

Voll50: Wann darf frau sich mit voll50 zurückziehen, ohne zur Eremitin zu werden?
Bettina Baláka: “The joy of missing out” ist eine von jüngeren Leuten gerne verwendete Phrase, mit der sie den freudvoll selbstbestimmten Zustand bezeichnen, der entsteht, wenn man gemütlich sein Ding macht und dabei ein soziales Ereignis verpasst. Die Existenz dieser Phrase kann dazu geeignet sein, etwaige Schuldgefühle bei denen, die ohne sie aufgewachsen sind, zu vertreiben.

VOLL50: Was passiert, wenn die Realität langsamer ist als die eigene Geschwindigkeit?
Bettina Baláka: Für solche Fälle empfiehlt es sich, immer ein gutes Buch dabei zu haben, um sich die Wartezeit angenehm zu vertreiben.

Am 27. Februar 2023 erscheint Bettina Balákas Buch „Wechselhafte Jahre. Schriftstellerinnen übers Älterwerden“ im Leykam Verlag.

https://bettinabalaka.wordpress.com

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