Buschtrommeln und Haferbrei
Das Leben in der nördlichen Hemisphäre hat mich wieder, die Wärme ebenfalls. Und die Umstellung natürlich auch, weil ich inzwischen zu reif bin, um schnelle Ortswechsel ohne Stoffwechsel auszuhalten.
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„Wenn es nicht mehr passt, gehe ich“

Es braucht viel mehr Vorbilder im Voll50-Alter, sagt Regina Jungmayr. Sie zeigen uns, dass Scheitern kein Unglück ist und dass Erfahrung schneller zum Ziel führt.
VOLL50: Wird frau mit voll50 unbeugsam, wenn es um die Liebe zur Freiheit geht?
Regina Jungmayr: Definitiv. Punkt. Die Liebe wird größer mit voll50. Du wirst Dir immer mehr bewusst, dass es um Dich geht. Dass Du nichts außerhalb von Dir findest, was Du nicht in dir hast. Die Suche hört auf. Und wenn Du nicht mehr suchst, nimmst Du leichter an, was das Leben Dir gibt. Oder bist gewillter, Dich auf die Dinge einzulassen, die Dir das Leben schenkt. Aber Du suchst nicht mehr verzweifelt nach etwas. Und wenn Du nicht mehr so verzweifelt suchst, bist Du weniger abhängig von den Dinge, weil Du sie nicht haben MUSST. Und Du bist auch nicht mehr bereit, Dich um jeden Preis zu „verkaufen“. Du stehst für Tauschhandel nicht mehr zu Verfügung. Wenn Du nicht mehr so getrieben bist von der Suche nach dem, was Du glaubst zu brauchen, siehst Du es auch nicht mehr als Majestätsbeleidigung an, wenn Dich jemand nicht mag oder wenn jemand nicht im Leben bleibt, wenn ich gerne dort hätte. Man bleibt mehr im Frieden mit sich selbst und gestaltet das Leben so, wie es einem gefällt, unabhängig vom Gegenüber. Nichtsdestotrotz ist es manchmal immer noch schwierig, loszulassen oder Dinge gehen zu lassen. Trotzdem: Einen Preis dafür zu zahlen, dass jemand oder etwas im Leben bleibt, wird immer unwahrscheinlicher.
Ich habe 30 Jahre eine Ehe geführt, die gut und harmonisch verlaufen ist, zwei wunderbare Kinder und ein besonders süßes Enkelkind. Aber irgendwann war die Ehe vorbei. Meine Mama hätte gesagt, dass ich bleiben soll, dass ich mich mit 58 nicht scheiden lassen kann, doch für mich war klar: Wenn es nicht mehr passt, gehe ich. In meiner jetzigen Beziehung bin ich weit nicht mehr so kompromissbereit. Ich bin klarer, ich zeige meine Grenzen viel schneller auf. Und ich fürchte mich auch nicht mehr davor, wenn dieser Mann sich entscheiden sollte, zu gehen. Ich liebe ihn, aber ich würde mich nicht verkaufen oder still vor mich hinleiden, wie man es macht, wenn man jünger ist. Und es gilt: Mach nicht etwas aus mir, was ich nicht bin.
VOLL50: Warum braucht es Vorbilder für Frauen in unserem Alter?
Regina Jungmayr: Mir ist es – obwohl ich ein sehr selbstbewusster und selbst bestimmter Mensch bin – sehr schwer gefallen, die Trennungsentscheidung zu treffen. Auch wenn ich sie dann durchziehe. Doch es hätte mir sehr geholfen, wenn ich noch mehr Bestätigungen von Frauen bekommen hätte. Viele Frauen in meinem Alter haben mir eher abgeraten, diesen Schritt zu machen. Dass ich nicht glücklicher sein werde. Nach dem Motto: Es kommt nichts G’scheiteres nach. Glücklicherweise habe ich durch meine schamanische Arbeit viele Kolleginnen, die diesen Weg gegangen sind, weil Heilerinnen sehr oft alleine sind und sich trennen, wenn sie ihren Weg beginnen. Da habe ich viele Vorbilder gehabt, die mir Mut gemacht und mich unterstützt haben.
Aber in der Öffentlichkeit gibt es noch viel zu wenige Frauen, die das nach außen repräsentieren. Und ich glaube auch, dass wir uns astrologisch gesehen in eine Zeit gehen, wo die Rollenmodelle zwischen Mann und Frau ohnehin anders werden. Das klassische Mama-Papa-Kind-Hund-Modell werden die Jungen nicht mehr leben wollen, denke ich. Deswegen braucht es auch Frauen, die zeigen, dass sich mit 50 erst die Sinnlichkeit, die Erotik entfaltet. Beides beginnt sich in diesem Alter voll zu entfalten. Und wenn ich bisher geglaubt habe, dass es so sein muss, wie es immer war, habe ich in diesem Alter jedes Recht, das zu ändern und neu zu entdecken.
VOLL50: Streben wir mit voll50 Zielen schneller entgegen als in früheren Jahren?
Regina Jungmayr: Definitiv. Weil wir klarer und auch effizienter sind. Man hat ein Ziel vor Augen und das verfolgt man mit einer gewissen Bestimmtheit, weil man ja weiß, dass das Leben endenwollend ist. Ich glaube schon, dass man den Fokus gezielter legt. Auch weil man mutiger ist und sagt: „Das Alter spielt für mich keine Rolle, um etwas Neues zu beginnen.“ Man hat auch schon Erfahrungswerte, wie man an Dinge herangeht. Das ist anders als mit 20 oder 30.
VOLL50: Wann sind Worte wichtiger als Taten?
Regina Jungmayr: Schöne Worte sind immer eine Sache. Taten sind viel wichtiger. Aber durch meine Beruf als Heilerin weiß ich, dass Worte mächtig sind. Daß Worte magisch sind. Wortmagie war ja in alten Zeiten immer Teil der Heilung. Insofern: Ja, Worte sind wichtig. Wenn ich mich einem Menschen zuwende, ist es sehr wichtig, welche Worte ich wähle. Im persönlichen Umgang sind Worte enorm wichtig. Aber man muss sie schon immer wieder mit den Taten abgleichen. Was sagt ein Mensch und was tut er? Ist er wahrhaftig oder erzählt er Dir nur etwas?
VOLL50: Welcher Art von Druck weichen wir mit zunehmendem Alter leichter aus?
Regina Jungmayr: Jedem bevormundendem Druck, überall dort, wen jemand will, dass Du Dich irgendwo hineinzwängst oder anpasst. Ich denke mir, dass ich den Druck nicht mehr haben möchte, mich auszubrennen, mich zu erschöpfen, über meine Grenzen zu gehen. Das geht nicht mehr. Früher war der Druck da und Du hast Dir gedacht, dass Du das schon eine Zeitlang durchziehst. Das geht jetzt gar nicht mehr. Und auch das Fremdbestimmte mag ich nicht mehr. Auch glaube ich, dass sich man mit zunehmendem Alter auch selbst weniger Druck macht. Ich habe auch nicht mehr so große Erwartungen an mich selbst. Und Erwartungen erzeugen auch immer Druck. Heute denke ich mir, wenn etwas nicht klappen sollte: „Was vergebe ich mir?“ Wenn etwas nicht funktioniert, mache ich halt etwas anderes.
Scham erzeugt auch Druck, aber auch Scheitern ist ein Thema. Wenn man jung ist, geht das gar nicht, weil das Ego so groß ist. Oft denkt man sich: „Da muss ich mich schämen.“ Das gilt auch für das Thema Scheidung. Viele Frauen konnten sich nicht trennen, weil andere dann gesagt hätten: „Um Gottes Willen, das ist eine geschiedene Frau.“ Das ist meiner Meinung nach inzwischen kein Thema mehr. Oder zumindest weniger thematisiert wird. Scheitern ist ein wichtiges gesellschaftliches Thema. Würden wir damit besser umgehen, dann würde viele Dinge prinzipiell viel einfacher werden. Und der Druck auf uns und die Gesellschaft insgesamt würde sinken und vermutlich würden dann auch viel weniger Menschen scheitern. Wenn ich keine Angst vor dem Versagen haben muss, weil ich mir das Versagen leisten kann, ist der Druck weg.
Wenn Du kreativ bist und aus Dir schöpfst, dann ist ja das Produkt das wichtige. In unserer Welt muss es aber so sein, dass das auch finanziell leistbar ist, dass Du schöpfst. Die Kreativität ist aber nicht an die materielle Welt gebunden und erleidet dann einen Einbruch, wenn ich mir überlegen muss, ob ich mir das überhaupt erlauben, leisten kann. Aber vielleicht stehen wir ja aktuell an dem Punkt, wo wir die Themen Geld, Materie, Finanzen endlich einmal neu denken, dass sie uns nicht bestimmen, sondern dienen.
Freiheit ist Wahlfreiheit

Etwas zu dürfen, setzt voraus, dass uns jemand die Erlaubnis dafür gibt. In Wirklichkeit haben Frauen zu jeder Zeit ihres Lebens die Wahl, ihre Welt frei zu gestalten, sagt Anna Zwingenberger.
VOLL50: Was ist beim Austausch mit einem Gegenüber für Dich am anregendsten?
Anna Zwingenberger: Egal, ob ich mit Mann oder Frau über gesellschaftliche, politische oder private Themen diskutiere, finde ich es sehr interessant „persönliche“ Perspektiven kennenzulernen. Einerseits kann ich dadurch meinen Horizont erweitern und andererseits daraus lernen. Eine gute Argumentation, Berichte über gemachte Erfahrungen und „logische“ Erklärungen von Sichtweisen machen mich nachdenklich und (manchmal) habe ich sogar meine Meinung verändert.
Ich bin immer schon eine gute Zuhörerin und Beobachterin gewesen, die erst nach einigen Überlegungen und Abwägungen ihre eigene Meinung kundgetan hat. Aber es fasziniert mich immer wieder, wenn Menschen ihre Meinung „spontan“ anschaulich und klar erläutern können. Rhetorisches Können finde ich äußerst anregend im kommunikativen Austausch.
VOLL50: Warum darf frau sich mit voll50 (endlich) die Welt so gestalten, wie sie es möchte?
Anna Zwingenberger: In meinem Kopf bin ich noch immer nicht bei 50+ angekommen, d.h. mit den Zuordnungen und den „Schubladen“, die mit einer Person 50+ verbunden werden. Mein Körper zeigt die (ersten) Spuren des Älterwerdens, aber mein Geist ist viel jünger. Ich fühle mich oft gar nicht angesprochen, wenn andere von 50+ reden. Mein Verstand sagt mir aber, dass meine verbleibende Zeit auf dieser Erde immer kürzer wird und ich diese nach meinen Vorstellungen und meinen Ansprüchen nutzen werde.
Als voll50-Frau habe ich mit dem Verb „dürfen“ ein Problem. Die Fragestellung impliziert für mich, dass ich von einer anderen Person die Erlaubnis benötige, um etwas Bestimmtes tun zu können. Daher ist mein erster Impuls, auf diese Frage eine Gegenfrage zu stellen: Warum sollte ich meine Welt und mein Leben erst mit voll50 frei gestalten können?
Prinzipiell kann frau sich in jeder Phase ihres Lebens ihre Welt frei gestalten und alles tun, wozu sie Lust und die Motivation hat – egal ob es nun um ihre berufliche Entwicklung, um ihre gesellschaftliche Stellung und Rolle oder um ihre privaten, familiären Wünsche geht. Als junge Frau habe ich mir sicher schwerer getan, meine Wünsche und Ziele klar zu benennen. Das Leben besteht aus Höhen und Tiefen, die wir auf unterschiedlichste Weise meistern und die unseren Erfahrungsschatz vergrößern. Aber diese Erfahrungen führten mich auch dazu, dass sich eine klarere Vorstellung herauskristallisiert hat, was ich „will“ , aber auch was ich „nicht will“.
Es ist niemals zu spät, etwas Neues anzufangen oder sich neue Ziele zu stecken – der Wille und die Beharrlichkeit sind auf jeden Fall mit dem Älterwerden gewachsen.
VOLL50: Wie verändert sich die Kommunikation mit anderen im Laufe der Dekaden?
Anna Zwingenberger: Früher habe ich mir immer gedacht, keiner interessiert sich wirklich für meine Meinung, und deshalb habe ich mich immer sehr zurückhaltend verhalten. Das hat sich mit den Jahren verändert, da ich mehr Selbstvertrauen aufgebaut habe, das sich auch in meiner Kommunikation mit anderen widerspiegelt.
Durch Beruf und alltägliche Erfordernisse hat sich die gemeinsame Zeit, die ich mit anderen (Freunde, Familie) verbringe, verringert. Aber gemeinsame Erlebnisse (Urlaub, Ausflüge, „Abende zum Ratschen“, Feiern etc) bringen uns zu bestimmten Zeiten wieder näher, und das genieße ich. Es gibt Menschen, die ich monatelang nicht sehe und wenig bis gar keinen Kontakt habe, aber wenn wir uns dann persönlich treffen, ist es, als ob keine Zeit vergangen wäre. Der Vorteil des Älterwerden liegt sicher darin, dass ich mich bewusst entscheiden kann, mit wem ich mich austausche oder eben nicht austausche.
Was mich manchmal langweilt sind Themen, die schon gefühlte hundertmal besprochen wurden, jeder kennt die Perspektive des anderen und trotzdem wird darüber gesprochen, obwohl kein anderes Ergebnis als beim letzten Mal rauskommen wird. Ein solcher Austausch ist für mich mittlerweile sinnbefreit.
Ich bin aber dankbar für die technologische Entwicklung (Messenger, Social Media), die es ermöglicht, dass ich „zwischendurch“ mit anderen kommunizieren kann, um ein kurzes „Hallo“ oder „ich denke an Dich“ zu übermitteln. Dies ist für mich in den letzten Dekaden die größte positive Änderung, um mit anderen zu kommunizieren und meine Beziehungen zu pflegen.
Voll50: Muss frau mit voll50 alles dürfen?
Anna Zwingenberger: Nein, das glaube ich nicht. Es gibt immer persönliche Grenzen für unser Tun, die sich auch im Alter nicht ändern. Mir geht es mehr um das „Wollen“ als um das „Dürfen“. Ich will heute andere Dinge erleben oder mir leisten – im Vergleich zu meinen 30ern oder 40ern. Ich will meine Lebenszeit mit sinnvollen Dingen füllen, auf die ich mit Stolz und Ehrfurcht zurückblicken kann.
Nur weil ich ein bestimmtes Alter erreicht habe, heißt das ja nicht, dass ich meine Persönlichkeit und meinen Charakter ändere. Alles in meinem Kopf und in meinem Herzen hat sich über Jahre angesammelt und trägt seinen Teil zum aktuellen Status bei. Die Chancen werden zwar weniger, aber gute Chancen zu ergreifen, das kann ich mit zunehmendem Alter besser….
Ich kann alles tun, was ich will, muss keinem mehr Rechenschaft ablegen, warum ich etwas tue oder etwas eben nicht tue.
VOLL50: Freiheit oder Verbindlichkeit – FreundInnen oder FeindInnen?
Anna Zwingenberger: Für mich als Einzelkind haben Freundschaften – egal ob mit Männern oder mit Frauen – immer schon eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt. Schon früh habe ich erkannt, dass Freundschaften gepflegt werden müssen, um über Jahre hinweg bestehen und wachsen zu können. Diese Personen sind meine „frei gewählte Familie“.
Am wichtigsten sind für mich Vertrauen und Loyalität, die ich meinen Freunden und Freundinnen entgegenbringe, und diese grundlegenden Eigenschaften erwarte ich natürlich im Gegenzug von ihnen. Ehrlichkeit und gegenseitiger Respekt sind absolut erforderlich, damit Freundschaften funktionieren können und wir uns aufeinander verlassen können. Für mich bedeuten Freundschaften auf jeden Fall auch eine Verbindlichkeit, die zur Stabilität und Absicherung der zwischenmenschlichen Beziehungen beiträgt.
Ich halte mich für eine loyale und vertrauenswürdige Freundin und genau diese Eigenschaften erwarte ich auch von meinen FreundInnen. Im Fall, dass ich von jemanden mal enttäuscht werde, ziehe ich mich von dieser Person zurück und schränke den Kontakt ein. Mit voll50 habe ich genug Rückgrat, dass ich auch mal aus einer Freundschaft „aussteige“. Ich bin mir selbst genug wert, um mich von Schmerz und Kränkungen zu schützen.
Ich hoffe nicht, dass sich FeindInnen in meinem FreundInnen-, Familien- und KollegInnenkreis befinden. Vorrangig geht es mir darum, mit anderen an einem Strang zu ziehen. Das heißt, ich betrachte andere Frauen grundsätzlich als „zu meiner Spezies zugehörig“, da wir durch verschiedenste Gemeinsamkeiten schon mal eine gute Basis haben. Andere Frauen sind für mich keine FeindInnen, sondern in erster Linie „Schwestern im Geiste“. Feindschaften zu pflegen, würde zu viel Energie kosten, die ich nicht aufbringen will.
Meine Freiheit liegt vorrangig darin, dass ich mir meine Freunde und Freundinnen wählen kann, und ich dadurch auf ein stabiles Netzwerk in meinem Leben blicken kann.
„Wir können uns nicht herausnehmen aus dem Weltgeschehen“

Cornelia Stahl nähert sich den VOLL50-Fragen unter einem literarischen Blickwinkel und plädiert für Genauigkeit in der Betrachtung, Sensibilität im Umgang mit Rück- und Vorsicht sowie für Humor.
VOLL50: Welche Vorteile hat es für eine Voll50-Frau, ein lebendiges, soziales Umfeld zu haben?
Cornelia Stahl: Bevor ich auf die Frage eingehe, muss ich berücksichtigen, in welcher Lebenssituation ich mich befinde und von welchem Standpunkt aus ich argumentiere.
Antworte ich als privilegierte, weiße, europäische Frau, die mit ausreichendem finanziellen Backround ausgestattet ist? Oder habe ich als europäische, weiße Frau soeben einen Schlaganfall erlitten, der mich aus der Arbeitswelt hinauskatapultiert hat? Freunde/Freundinnen suchen das Weite. Das soziale Umfeld ist auf die Größe einer vertrockneten Zitrone zusammengeschrumpft. Im Idealfall gibt es einen Sozialstaat, der es mir ermöglicht, halbwegs an der Oberfläche zu schwimmen. Die Miete wird gezahlt und die Mindestsicherung reicht aus, um „überleben“ zu können.
Eine Frau mit irgendwelchen Erkrankungen verschwindet im Resonanzraum des Begehrens, wird nirgendwohin eingeladen, weder zu Lesungen noch zu privaten (Geburtstags)feiern. Sie hat sich zurückgezogen. Zwischen Büchertürmen oder ähnlichem hat sie sich „eingerichtet“ und fristet ein Dasein, dass nicht planbar/kalkulierbar war, mit dem sie sich jedoch arrangiert hat.
Kein Geheimnis ist, dass nur wenige Schriftstellerinnen üppig leben, die meisten von ihnen in prekären Verhältnissen. Selten sind sie ausreichend abgesichert, wie die Autorin Petra Ganglbauer in einem Interview im März 2023 berichtete.
Szenenwechsel: Außerhalb Europas: 2012 hatte ich in der Mongolei eine Frau kennengelernt, ich schätzte sie auf sechzig (Sie war fünfzig Jahre alt). Ich erinnere mich an die überwältigende Gastfreundschaft in der Einraumwohnung, der Jurte, beim Fest Tsangaan-Sar (Weißer Mond, 21.Februar), zu dem ich privat eingeladen wurde. Die Töchter kamen ab und an zu Besuch und halfen der Mutter. Kein Auto, kein Geld für Ausflüge ins Innere des Landes, an Auslandsreisen war nicht zu denken. Am Rande der Stadt zu leben ist kein Privileg, ein „Überleben“ war dennoch (irgendwie) möglich.
VOLL50: Warum liegt hinter jedem Lebensereignis ein tieferer Sinn?
Cornelia Stahl: Der Sinn erschließt sich nicht im jeweiligen Moment, sondern meistens Jahre später.
VOLL50: Wie hängen mit voll50 Rücksicht und Vorsicht zusammen?
Cornelia Stahl: In einer kapitalistischen und digitalisierten Welt ist Rücksicht nicht vorgesehen, Konkurrenz an der Tagesordnung. Im Wort Rücksicht schwingt Altruismus. Formen von Solidarität wären notwendig. Als ich junge Menschen um die Dreißig in ein Gespräch über Solidarität verwickelte, wussten diese nichts mit dem Begriff anzufangen. Innerhalb der Generationen werden die Begriffe Rücksicht und Vorsicht unterschiedlich definiert und gedeutet. Die Autorin Ulrike Draesner beschrieb die Differenzen zwischen den Generationen (und den Geschlechtern) sehr präzise im Artikel „Wenn eine Frau älter wird“ . Von Scham, sprachlicher Hilflosigkeit und Einsamkeit war da die Rede.
VOLL50: Welchen Zeichen sollte frau folgen, um in die Balance zu kommen?
Cornelia Stahl: Balance ist eines der Modewörter, die im täglichen Sprachgebrauch zirkulieren. Freiheit ist ein weiteres, wie die Kabarettistin Lisa Eckert 2022 in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ betonte: „Geschlechter sind fluid, (…) wir sind zur Selbstbestimmung verdammt. Es gibt nur einen Imperativ: Wir sollen gefälligst herausfinden, wer wir sind und dem müssen wir dann treu bleiben.“ Um die Frage nach „Balance“ zu beantworten, kann man die Entwicklungen der letzten Jahre, die ins Private hineinspielen, nicht ausklammern. Ein Trugschluss, den Rückzug in die Privatheit als allumfassende Lösung zu betrachten. Wir können uns nicht herausnehmen aus dem Weltgeschehen.
In der Anthologie „Wechselhafte Jahre“ von Bettina Balàka (Leykam 2023) zeigen die verschiedenen Beiträge der Schriftstellerinnen, dass es keine Handlungsanleitung fürs Älterwerden gibt. Jede Form des Alterns ist individuell, jede Form, „in Balance zu kommen“ so vielfältig wie die Lebenswege der Frauen, die in diesem Buch vertreten sind.
Die Schauspielerin und Autorin Grischka Voss hat sich 2023 in ihrem Stück F*ting Hot mit den Wechseljahren und dem Älterwerden von Frauen auseinandergesetzt. Zu ihrer Performance ins Wiener Theater Drachengasse kamen insbesondere ältere Paare, was mich zunächst wunderte, später jedoch zum Schmunzeln brachte. Sich ernst nehmen und trotzdem über sich lachen können. Humor ist, spontan argumentiert, ein brauchbares Mittel, um in Balance zu bleiben oder zu kommen.
VOLL50: Warum ist es mit voll50 manchmal so schwer, abzuwarten, bis man um Hilfe gebeten wird?
Cornelia Stahl: Die Frage ist ein Spiegel zeitgenössischer Beziehungsmuster. Eine allgemeingültige Antwort wäre an dieser Stelle unangebracht, daher verzichte ich auf eine Argumentation, da mir die Details zur Entstehung der Frage unbekannt sind.
„Dem Leben entgegengehen ist eine hilfreiche Strategie“

Aus verantwortungslosen verantwortungsbewusste Menschen machen zu können – diese Vorstellung hat Bettina Baláka losgelassen. Und sie empfiehlt ein gutes Buch, wenn die Realität langsamer als die eigene Geschwindigkeit ist.
VOLL50: Sind hohe Ideale und Toleranz ein Widerspruch?
Bettina Baláka: Hohe Ideale im Großen und Toleranz im Kleinen. Bei Menschenrechten werden keine Abstriche gemacht, aber eine Carbonara mit Sahne muss keinen Nervenzusammenbruch auslösen.
VOLL50: Welche Voraussetzungen sollten mit voll50 gegeben sein, damit frau die Kontrolle abgibt?
Bettina Baláka: Die Kontrolle wird sehr gerne abgegeben, idealerweise an bewährte Leute. Um sich bewähren zu können, braucht eine Person Vorschussvertrauen. Wird dieses wiederholt enttäuscht, ist es irgendwann verbraucht. Natürlich gibt es lässlichere und gravierendere Fehler, größere und geringere Verantwortung. Die Vorstellung, Menschen „ändern“ zu können, also verantwortungslose verantwortungsbewusst zu machen, habe ich nicht mehr. Dabei sagen die, die nicht mehr mit Aufgaben betraut werden, gerne selbst: „Nur einmal noch, ich kann mich ändern!“
VOLL50: Das Leben abwarten oder das Leben erwarten?
Bettina Baláka: Manche Dinge muss man aussitzen. Manche Erwartungen werden enttäuscht. Dem Leben entgegengehen kann bisweilen eine hilfreiche Strategie sein.
Voll50: Wann darf frau sich mit voll50 zurückziehen, ohne zur Eremitin zu werden?
Bettina Baláka: “The joy of missing out” ist eine von jüngeren Leuten gerne verwendete Phrase, mit der sie den freudvoll selbstbestimmten Zustand bezeichnen, der entsteht, wenn man gemütlich sein Ding macht und dabei ein soziales Ereignis verpasst. Die Existenz dieser Phrase kann dazu geeignet sein, etwaige Schuldgefühle bei denen, die ohne sie aufgewachsen sind, zu vertreiben.
VOLL50: Was passiert, wenn die Realität langsamer ist als die eigene Geschwindigkeit?
Bettina Baláka: Für solche Fälle empfiehlt es sich, immer ein gutes Buch dabei zu haben, um sich die Wartezeit angenehm zu vertreiben.
Am 27. Februar 2023 erscheint Bettina Balákas Buch „Wechselhafte Jahre. Schriftstellerinnen übers Älterwerden“ im Leykam Verlag.
„Ohne Krise kapieren wir es nicht“

Wer etwas verändert, zerstört auch immer etwas. Und das kann eine befreiende Erfahrung sein, sagt Sabine Wagenhofer. Die Vernunft fahren lässt sie nur bis zu einem gewissen Punkt.
VOLL50: Was muss passieren, damit frau mit voll50 in die Erneuerung geht?
SABINE WAGENHOFER: Etwas gravierendes, glaube ich. Bei den meisten muss vermutlich ein einschneidendes Erlebnis passieren, damit sie aus der Komfortzone, in der frau meistens mit 50 lebt, herauskommt. Nur wenn etwas Gravierendes passiert, bringt eine ins Nachdenken: Will ich jetzt so weiter machen oder ändere ich etwas? Anders kapieren wir es vermutlich nicht. Ich definitiv nicht. Ich brauche immer meine drei Ohrfeigen, bis ich etwas checke. Andere brauchen vielleicht nicht so viele. Bei mir war es halt das Burnout, das mir den Weg gewiesen hat – und da war ich noch gar nicht 50. Und wenn ich recht überlege, kenne ich tatsächlich auch Frauen, bei denen etwas passiert ist, etwa weil ihnen der Mann weggelaufen ist. Ich glaube, die wenigstens kommen ganz von alleine drauf, dass sie eine Situation ändern.
Ich habe bei einer guten Freundin erlebt, dass die Kinder aus dem Haus waren, und dann hat sie gemerkt, dass die Ehe auch nicht mehr passt, weil immer die Kinder im Mittelpunkt gestanden sind. Und dann kam das böse Erwachen. Was tue ich jetzt mit mir selbst?
VOLL50: Wie viel Zerstörungsenergie ist dabei im Spiel?
SABINE WAGENHOFER: Das ist eine gemeine Frage. Ohne eine gewisse Zerstörungsenergie geht es meiner Meinung nach nicht. In meinem Fall war vielleicht unterbewusst diese Energie aktiv, aber ich bin generell kein Zerstörmensch. Aber klar, frau zerstört das bestehende Leben, wenn sie sich erneuert. Was habe ich zerstört? Freundschaften, einige. Auch Einstellungen natürlich, aber eher in dem Sinne, dass ich sie aufgegeben habe. Weil ich immer die Brave, Liebe, Nette war, die immer zu allem ‚Ja‘ und ‚Amen‘ gesagt hat. Und irgendwann einmal bin ich für meine Einstellung eingestanden. Also habe ich sicher auf für andere die Einstellung zerstört, die sie zu mir hatten. Das wurde mir ja dann auch vorgeworfen, dass ich mich so verändert hätte. Das war am Anfang kein gutes Gefühl, aber ich dachte mir dann, dass Veränderung ohne Verluste nicht geht. Und irgendwann einmal war ich an dem Punkt, wo ich mir dachte: Entweder sie akzeptieren mich so, wie ich jetzt bin – weil das ist ja mein wahres Ich und nicht das verstellte aus der Vergangenheit – oder wir passen einfach nicht zusammen. Fertig. Aber das hat eine Zeitlang gedauert, bis ich das gecheckt habe.
VOLL50: Welche Kraft liegt mit voll50 in enttäuschter Hoffnung?
SABINE WAGENHOFER: Bei mir persönlich nicht so viel. Ich bin generell ein Mensch, der hunderttausend Ideen hat. Und ich probiere etwas, und wenn das nicht klappt, kommt die nächste Idee dran. So war ich immer schon, stets optimistisch und positiv. Ich habe so viele Ohrfeigen gekriegt, und klar habe ich auch Phasen gehabt, wo es mir richtig dreckig gegangen ist. Allerdings kann ich mich sehr schnell wieder selbst aufbauen. Und ich gehe dann in den „Jetzt erst recht“-Modus. Stell Dich gerade hin, schminkst Dich und ziehst etwas Schönes an, auch wenn’s Dir noch so scheiße geht. Und für diese Gabe bin ich wirklich megadankbar. Ich hatte auch im Burnout nicht das Problem, dass ich in die Depression gefallen bin. Das haben damals auch alle Therapeuten bestätigt.
Zur Hoffnung zurück: Wenn ich etwas nicht probiere, weiß ich nicht, ob etwas funktioniert. Ich probiere alles, aber ich stecke nicht zu viel Energie und Kraft hinein. Wenn es nicht klappt, denke ich mir, dass es eben nicht das Richtige war. Bei der Vielzahl an Ideen wird sicher die passende dabei sein.
VOLL50: Wie viel innerer Dialog ist für einen äußeren Dialog nötig?
SABINE WAGENHOFER: Ich bin zu intuitiv und spontan für innere Dialoge. Natürlich habe ich sie auch, aber nicht gravierend. Ich habe die Prägung durch das Geschäft meiner Eltern, dass ich immer zu lachen hatte, immer zu grüßen hatt, immer freundlich zu sein hatte. Und irgendwann einmal wollte ich das nicht mehr, weil mir durchs Leben das Lachen vergangen ist. Und das war der Zeitpunkt, wo ich auch etwas geändert habe. Im Grunde gibt es insofern so auch bei mir innere und äußere Dialoge, aber die beiden wachsen mehr und mehr zusammen. Vor allem bei den Dingen, die mir am Herzen liegen. Mein Mann sagt in solchen Situationen dann immer: ‚Denken vor Reden‘.
VOLL50: Wann darf frau mit voll50 auch einmal die Vernunft fahren lassen?
SABINE WAGENHOFER: Immer. Im Endeffekt sind wir alle sehr vernünftig, wie wir leben. Doch gerade deshalb können wir die kleinen Vogelgeschichten, die wir alle haben, kann frau ruhig rauslassen. Das macht das Leben lustiger und bunter.
Andererseits: Es ist gut und schön, dass frau auf sich schauen sollte. Das ist ja in den vergangenen Jahren ein großes Thema geworden. Trotzdem leben wir auf einem Planeten, wo es auch noch andere Menschen gibt. Es gibt einfach Menschen, wo nur noch das ‚Ich‘ zählt, und so funktioniert Gemeinschaft aber nicht. Respekt und Wertschätzung müssen immer vorhanden sein, und dass ich niemanden beleidige oder/und verletze. Das ist für mich die Grenze für Unvernunft. Ich bin seit 33 Jahren verheiratet, und Beziehung ist immer Arbeit. Und da geht es halt nicht mit dem Ego-Trip. Ich habe einen Partner und berücksichtigen, was er will, auch wenn es nicht meins ist. Aber er macht ja dafür auch etwas, wo er mir entgegen kommt.
„Die Nähe zu mir selbst ist ein wunderbares Gefühl“

Von emotionalem Rückzug hält Carmen Dallarosa mindestens genauso wenig wie davon, eine Partnerschaft zu priorisieren. Und doch kann sie sich eine Art „Pensionsvorsorge“ vorstellen.
VOLL50: Wann ist Zynismus gesünder als Einfühlsamkeit?
CARMEN DALLAROSA: Grundsätzlich finde ich zynisch zu sein nicht gesund. Warum? Wenn ich mir nichts Gutes tue, dann kann das für mich nicht gesund sein. Wenn ich in einem Gespräch mit meinem Gegenüber mit beißendem Spott daher komme und eventuell auch noch dessen Gefühle missachte, bringt mich das nicht weiter, als dass ich meine negativen Gefühle entlade. Dabei frage ich mich, ob ich nicht lieber meinen Zynismus bei meiner Katze oder bei meinen Pflanzen deponiere, um niemanden zu verletzen. Daher wäre natürlich Einfühlsamkeit die bessere Wahl, um ein harmonisches Miteinander zu pflegen. Dennoch bin ich ein weibliches Wesen mit Emotionen, die auf einmal hochkommen und ich sie auch nicht immer kontrollieren kann und will.
Somit passiert es auch mir, dass ich meinen Zynismus an anderen auslebe, ob ich will oder nicht. Ich entlade mich, und es geht mir dann besser, weil ich es ausgesprochen habe. Ich teile mich mit, ich kommuniziere. Das ist mein Ziel. Sollte ich das nicht tun, akzeptiere ich nur, und DAS ist nicht gesund! Wann ist es also gesünder zynisch als einfühlsam zu sein? Vielleicht dann, wenn die Einfühlsamkeit nicht mehr wahrgenommen wird. Zynisch gesagt, wenn das Gegenüber empathielos, ohne jegliches Mitgefühl, ist. Dabei kann ich sogar mit Zynismus nicht verletzen, aber es wird eher verstanden, und ich erreiche so mein kommunikatives Ziel, mich mitzuteilen und nicht nur zu akzeptieren. Eine Frau – ein Wort – viel Kraft!
VOLL50: Warum sollte Frau mit voll50 einer Partnerschaft immer noch die erste Stelle der Prioritätenliste einräumen?
CARMEN DALLAROSA: Egal ob ich 20, 30 oder 50 Jahre bin, ich sollte es nicht tun! Ich tat es trotzdem. Mit 20 wollte ich Erfahrungen mit Männern und dem Zusammenleben machen. Mit 30 wollte ich eine Familie gründen und mit knapp 50 wollte ich nicht alleine sein – man könnte auch Pensionsvorsorge dazu sagen! 🙂
Vor kurzem hatte ich aber die Erleuchtung. Denn grundsätzlich ist es egal, wie alt Frau ist. Auf der Prioritätenliste jeglichen Alters sollte Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, Zufriedenheit und Selbstwert stehen. Erst wenn die Frau sich diese Prioritäten erfüllt hat, kann sie in eine gesunde und glückliche Beziehung gehen und wird die obengenannten Prioritäten niemals mehr verlieren. Vielleicht kommt ihr der Partner wieder mal abhanden, doch der Selbstwert und die damit verbundene Zufriedenheit bleibt! Dieses wunderbare Gefühl, sich selbst zu genügen, ist pures Glück. Es fühlt sich einfach gut an, und viele Probleme werden zu Herausforderungen, die durch diese gewonnene Stärke gemeistert werden können. Die Leichtigkeit, durch beseitigen des Mangels, hält Einzug! Schön wäre es trotzdem, mit dem gewonnen Selbstwert, eine wunderschöne auf Augenhöhe basierende Partnerschaft zu leben!
VOLL50: Was braucht Frau, um Selbstachtung zu zelebrieren
CARMEN DALLAROSA: Da möchte ich eine Liste anführen, die mir in letzter Zeit sehr geholfen hat und die es treffend beschreibt, was ich dafür tun kann, um in meinen Selbstwert zu kommen und ihn zu wahren:
* Wenn es sich falsch anfühlt, tu es nicht.
* Sag exakt das, was du meinst.
* Mache es anderen nicht immer recht. Mache es dir recht!
* Vertraue deinem Instinkt.
* Sprich nie schlecht über dich selbst.
* Gib niemals deine Träume auf.
* Scheue dich nicht „nein“ zu sagen.
* Scheue dich nicht „ja“ zu sagen.
* Sei gütig zu dir selbst.
* Lasse los, was du nicht kontrollieren kannst.
* Halte dich fern von Drama und Negativität.
* Liebe!
Und wenn ich diese Liste immer wieder mal durchlese, nippe ich dabei an meinem Glas Rotwein und höre FM4! 🙂 Yeah!
VOLL50: Emotionaler Rückzug – nimmt dieser Zug mit voll50 fahrt auf?
CARMEN DALLAROSA: NEIN, im Gegenteil. Ich lasse zurzeit meinen Gefühlen freien Lauf. Manchmal knalle ich hart auf meine Nase. Stehe aber gleich wieder auf, putze meine Nase, zelebriere die Liste der Selbstachtung und teile meine Gefühle der Welt mit. Das mache ich so lange, bis meine Gefühle erhört und erwidert werden, und dann lege ich erst richtig los! Ich trage mein Herz und mein loses Mundwerk auf der Zunge – was raus muss, muss raus! Ich möchte mich mitteilen, zeigen, wie toll ich mit 50 Jahren bin, wie verrückt ich sein darf, weil ich es mir erlaubt habe, und wie schön es sein kann, wenn Frau Gefühle hat und sie zeigen kann. Wer sich emotional zurückzieht, tut mir leid, der lebt nicht. Ich möchte mich mit Gefühlen ausdrücken. Meine Freude, aber auch meine Traurigkeit ausleben. Erst wenn ich Gefühle leben darf, ist es für mich ein wertvolles, zufriedenes Leben!
VOLL50: Welchen ersten Schritt sollte Frau gehen, um Sehnsüchte und Wünsche umzusetzen?
CARMEN DALLAROSA: Den Selbstwert muss sie erkennen, ihn leben & lieben! Alle Menschen und alle Erlebnisse, gute wie schlechte, haben mich auf meinen Weg zu meinem wertvollen Selbst begleitet. Alleine im stillen Kämmerlein hätte ich das nicht geschafft. Diese Erlebnisse habe ich selbstreflektierend betrachtet, meine Gefühle zugelassen und die Erkenntnis manifestiert. So entsteht „Selbstliebe“. Diese Selbstliebe hat mir erst meine wahren Sehnsüchte und Wünsche eröffnet, und ich komme ihnen immer näher! Die Nähe zu mir selbst ist ein wunderbares Gefühl. Es lässt mich nie so fühlen, als wäre ich alleine. Das bin ich ja auch nicht. Manchmal spreche ich mit meinem Selbst und sage dann: „Ich hab dich und du hast mich! Wollen wir Musik hören?“
Ein NEIN kostet so viel mehr Kraft als ein JA

Immer auf der Suche nach Vollkommenheit und neuen Erlebnissen, glaubt Voll50-Frau Inge Miglbauer fest an die Dauerhaftigkeit von Freundschaften und daran, dass die Motivation anderer kein Lippenbekenntnis sein darf.
VOLL50: Wann halten Freundschaften auch eine gewisse Unregelmäßigkeit aus?
INGE MIGLBAUER: Ich kann das nur für mich beantworten und in meinem Empfinden halten Freundschaften, die irgendwann mal richtig innig waren, immer Unregelmäßigkeiten aus. Echte Freundschaften halten ein leben lang für mich. Das kann aber daran liegen, dass ich mich mit Veränderungen schwer tue, ich hänge an gemeinsamen Erlebnissen und schönen Erinnerungen und Bildern. Je älter ich werde, desto mehr stelle ich auch fest, dass ich das bin. Ich bin diejenige, die solche Freundschaften oder Freundschaftskreise am Leben hält, und ich denke, das hab ich von meiner Mama. Aber ja, Freundschaften halten Unregelmäßigkeiten aus, gerade heutzutage mit den Kommunikationsmöglichkeiten, aber es bedarf auch der Zeit, und daran scheitert es oft. Speziell Freundschaften aus jungen Jahren halten Unregelmäßigkeiten aus, weil man soviel voneinander weiß oder weil man sich gern an die Zeit, als man jung war, zurückerinnert und die damit verbindet. Ich habe das Glück, beides zu haben, lange Freundschaften, die mein Leben ausmachen, ja meine Familie sind und Freundschaften, wo man nicht immer in Kontakt ist, aber in dem Moment, wo man sich trifft, ist alles wie immer. Man knüpft da an, wo wir uns zuletzt gesehen oder gehört haben, einfach wie wenn´s gestern gewesen wäre. Und darum Fazit, ja, echte Freundschaft hält das aus.
VOLL50: Wann liegt mit voll50 mehr Kraft in einem „Nein“ als in einem „Ja“?
INGE MIGLBAUER: Ganz einfach ab dem Zeitpunkt, wo man es mit über 50 endlich kann. Auch wenn es lächerlich klingt: Ich sage leider immer noch zu oft JA, obwohl ich NEIN sagen möchte, beruflich und privat. Und das ist in meinem Alter eigentlich ein Armutszeugnis, andere können das schon perfekt mit 20. Aber da ich mich nie sehr attraktiv empfand, dachte ich immer, ich muss mit Charme und Nettigkeit das wettmachen, und das ist halt schwer abzulegen. Also in einem ‚Nein‘ mit voll50 liegt bei mir alle Kraft, die ich aufbringen kann, weil ich ja etwas ablehne, was jemand von mir möchte. 100mal mehr Kraft als in einem ‚Ja‘! Und ich bin überzeugt, dass ich da nicht die Einzige bin, weil warum brechen sonst Frauen über 50 urplötzlich aus ihrem Leben aus und sagen NEIN. Wo das ganze Umfeld sagt, na was ist jetzt den los? Das erschreckt viel mehr, und es bedarf auch viel mehr Kraft, das zu tun, also NEIN zu etwas zu sagen.
VOLL50: Welche Art von Ruhe macht unruhig?
INGE MIGLBAUER: Zuviel Ruhe interpretiere ich als ‚ausgeschlossen sein‘, ‚ausgeschlossen aus dem Leben‘, und das bin ich zum Glück ganz selten. Der Spruch ‚Ich brauche mal Zeit für mich‘ ist für mich ein Fremdwort. Mich macht die Ruhe, die wohl viele sich wünschen, unruhig, ich mag auch kein Home Office. Ich fahre nicht allein auf Urlaub oder mag auch nicht allein an den See fahren, das macht mich unruhig. Und auch vertane Zeit macht mich unruhig, sinnloses Herumgetrödle, wo man viel erkunden oder erleben könnte. Diese Ruhe macht mit unruhig. Aber ich liebe die Ruhe auf einer Bergspitze oder in einer Kathedrale, das ist ganz wunderbar.
VOLL50: Wie viel Unvollkommenheit gestattet sich frau mit voll50?
INGE MIGLBAUER: Ganz ganz ganz schwierige Frage!!! Von mir ausgehend, leider gar keine Unvollkommenheit. Immer das Gefühl zu haben, alles 110prozentig erfüllen zu müssen, weil wenn nicht jetzt, wann dann, viel Zeit bleibt ja nimmer für eine über 50jährige, die quasi noch den „öffentlichen Fehler“ herumträgt, keine Kinder in die Welt gesetzt zu haben und nie verheiratet gewesen zu sein. Auch wenn ich beruflich schon erfolgreich bin, geschätzt werde – ich habe immer das Gefühl, doppelt soviel leisten zu müssen, verzeihe mir keinen Fehler, also es hält null Unvollkommenheit aus. Und was dazukommt: Je älter, desto schwieriger ist die Unvollkommenheit privat und beruflich zu schaffen, weil man halt langsamer wird. ABER ich denke, es liegt in vielen Fällen und bei mir sicher an der Erziehung beziehungsweise an dem, wie man es vorgelebt bekommt, und dieses Muster zu durchbrechen, ist einfach unsagbar schwer. Es auszuhalten dazustehen und zu sagen: ‚Na und, wurscht, ist sich nicht ausgegangen, nicht geschafft, nicht perfekt, solala gelaufen, vielleicht morgen,‘ ist wahnsinnig schwer, fast unmöglich und ist immer mit ‚ungenügend‘ oder ‚unvollkommen‘ verbunden.
VOLL50: Wie motiviert frau andere zur Eigenverantwortung?
INGE MIGLBAUER: Ist die schwierigste Frage für mich, weil Eigenverantwortung wofür!?!? Für ihre Gesundheit, die Gesellschaft, den Partner, ihre Jobauswahl? Und egal, welcher dieser Punkte – es ist schwer zu motivieren ohne eventuell jemanden zu kränken. Man muss dieser Motivation dann auch Eigeninitiative folgen lassen. Ich sag dir, du musst wirklich was tun für deine Gesundheit, dann muss ich auch sagen, ok, komm, ich nehme mir Zeit, ich geh laufen oder schwimmen mit dir. Oder im Job, leicht zu sagen, komm, du schmeißt das jetzt hin, es reicht. Aber dann muss man auch helfen, was Neues zu finden. Und da denke ich, setzt dann die Bequemlichkeit ein. Bei wem ist alles perfekt, wer weiß ob’s besser wird, egal in welchem der Punkte? Und vorbei ist es mit der Motivation für andere Frauen. Manchmal wird das, was andre als Motivation bezeichnen, als Bevormundung empfunden. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, und dann ist es eher kontraproduktiv. Ich denke nicht, dass ich schon andre Frauen zur Eigenverantwortung motiviert habe, aber eventuell weiß ich es nur nicht.
Lebenskunst ist keine Selbstläuferin

Wenn frau sich selbst verzeihen kann, fällt es auch bei anderen leichter, sagt Voll50-Frau Bettina Steinsberg. Eine stabile Mitte hilft dabei, wenn sie aus dem Bewusstsein erwächst: Fehler sind wichtig.
VOLL50: Was kann Lebenskunst mit voll50 – ist sie eine Selbstläuferin?
BETTINA STEINSBERG: Lebenskunst ist mit voll50 gut möglich, allerdings keine Selbstläuferin. Wir müssen uns mit uns selbst auseinandersetzen, mit unseren Träumen, Sehnsüchten, Ängsten und Verletzungen. Sonst holen sie uns früher oder später ein, und dann wird Lebenskunst schwierig. Wenn wir uns hingegen selbst gut kennen, dann kann uns mit voll50 nichts mehr so leicht aus der Bahn bringen. Denn wir wissen um unsere Leistungen, müssen niemandem mehr etwas beweisen, kennen und akzeptieren unsere Schwächen. Wir sind im Einklang mit uns. Das macht Lebenskünstler*innen aus.
VOLL50: Was braucht frau, um im Mittelpunkt stehen zu können?
BETTINA STEINSBERG: Eine starke Mitte. Zuerst muss frau selbst von sich überzeugt sein. Das ist gar nicht so einfach, wie es klingt. Frauen tendieren dazu, Erfolge äußeren Umständen zuzurechnen. Misserfolge hingegen nehmen sie persönlich und beziehen sie auf sich und ihre Fehler. Da hilft eine „Fehlerkultur“. Es ist nicht nur in Ordnung, Fehler zu machen, sondern extrem wichtig, dazu zu stehen, daraus zu lernen und daran zu wachsen. Dann kann ich gut im Mittelpunkt stehen.
VOLL50: Welche zwischenmenschlichen Verhaltensmuster sind mit voll50 immer noch spannend?
BETTINA STEINSBERG: Alle sind spannend. Das liegt an der Reife. Wir sind sensibler und nehmen mehr wahr. Wir sind reflektierter und stellen uns und unser Gegenüber mehr in Frage. Wir können besser diskutieren und unseren Standpunkt vertreten. Wir können unterschiedlicher Meinung sein, ohne darüber streiten zu müssen. Wir können uns auch gelassen zurücknehmen, wenn wir keine Chance sehen, in echte Beziehung zu treten. Das alles macht Beziehungen vielfältig und letztlich auch spannend.
VOLL50: Wie kann frau beim Verzeihen helfen?
BETTINA STEINSBERG: Verzeihen beginnt immer bei uns selbst. Wer sich selbst gut verzeihen kann, ist in der Lage, anderen beim Verzeihen zu helfen. Wenn Verzeihen schwerfällt, dann liegt oft eine tiefe Verletzung von früher dahinter. Frau kann zwar helfen, der Ursache auf den Grund zu gehen, warum jemand schwer verzeihen kann. Finden muss dieser Jemand die Ursache allerdings selbst und bereit sein, sowohl die Verletzung als auch die Heilung des Schmerzes anzunehmen.
VOLL50: Wie verändert sich das Gefühl für Geschwindigkeit mit voll50?
BETTINA STEINSBERG: Das ist subjektiv. In meinem Fall ist es so, dass ich schon immer quirlig und unruhig war, besonders als Kind. In der Schule war das ein Problem, in meinem ersten Job als Unternehmensberaterin hat es mir aber sehr geholfen, vor allem die schnelle Auffassungsgabe und das Tempo, das ich an den Tag gelegt habe. Allerdings habe ich mit den Jahren gemerkt, dass mir diese Geschwindigkeit nicht guttut. Ich habe mich ausgelaugt gefühlt, und dann kam die Sinnkrise. So bin ich zu meinem jetzigen Beruf gekommen. Shiatsu zu geben, ist für mich selbst ein Geschenk. Es bringt mich zur Ruhe und erdet mich. Das tut mir enorm gut. Darüber hinaus können auch meine Klient*innen die Erfahrung von tiefer Entspannung und Mitte-Finden erleben.
Wenn nicht jetzt, wann dann?

Weder Anpassungsfähigkeit noch Naivität passen zu einer Voll50-Frau, sagt Christine Schwärzler. Unterwegssein ist für sie ein Muss, Warten auf morgen oder übermorgen überhaupt keine Option.
VOLL 50: Wo endet mit voll50 die Anpassungsfähigkeit?
CHRISTINE SCHWÄRZLER: Anpassungsfähigkeit ist die Fähigkeit, sich auf geänderte Anforderungen und Gegebenheiten einzustellen. Eine Kompetenz, die manchmal notwendig ist, die neue Türen öffnen kann, aber mit voll50 kein Muss ist. Das Privileg von vollfünfzig ist, sich in manchen Situationen – sowohl beruflich als auch privat – nicht mehr anpassen zu müssen.
Anpassungsfähigkeit hat nicht nur mit vollfünfzig Grenzen. Meine Anpassungsfähigkeit endet, wenn ich mich einfach nicht anpassen möchte, wenn ich mich verbiegen, wenn ich meine Überzeugungen negieren müsste. Ein menschliches Chamäleon zu sein ist meiner Meinung nach weder vor50 noch mit voll50 oder nach50 erstrebenswert. Auch wenn es heißt, dass weder die stärkste noch die intelligenteste Spezies überlebt, sondern die angepassteste, ist das kein Argument für mich. Im Gegenteil – oft sind nämlich die Unangepassten die Interessantesten.
VOLL50: Inwiefern beeinflusst Naivität die Ausstrahlung?
CHRISTINE SCHWÄRZLER: Meine ersten Assoziationen zu Naivität sind eher negative. Synonyme zu diesem Nomen sind laut Duden Arglosigkeit, Einfachheit, Einfalt, Harmlosigkeit. Wie kann Naivität da die Ausstrahlung positiv beeinflussen? Ahnungslos, arglos, blauäugig und einfältig zu sein, kann nicht wirklich erstrebenswert sein. Meiner Meinung nach haben naive Menschen keine besondere oder eine negative Ausstrahlung. Menschen, die wenig Erfahrung mitbringen, unkritisch und einfältig agieren, strahlen in meinen Augen nicht viel aus.
VOLL50: Worauf sollte frau mit voll50 auf keinen Fall mehr warten?
CHRISTINE SCHWÄRZLER: Auf morgen oder gar auf übermorgen. Jetzt im Moment leben ist mit voll50 wichtiger denn je. Nichts mehr aufschieben, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, Dinge zu tun, die man/frau immer tun wollte, dorthin zu reisen, wohin man/frau immer schon wollte, das zu sagen, was man/frau immer schon sagen wollte.
VOLL50: Wie wirkt es sich aus, wenn man das Unterwegssein übertreibt?
CHRISTINE SCHWÄRZLER: Kann man das Unterwegssein übertreiben? Gibt es denn Schöneres als unterwegs zu sein? Reisen und Unterwegssein mit meinem Mann und meiner Familie sind die schönsten Tätigkeiten, die ich mir vorstellen kann. Nichts mehr genieße ich, als mit ihnen unterwegs zu sein, Neues kennenzulernen, gemeinsame Erfahrungen zu machen und Erinnerungen zu kreieren. Sammle Momente, nicht Dinge; die schönen Momente sind es, die bleiben. Neue Abenteuer kann man nur erleben, wenn man unterwegs ist und nicht stillsteht.
VOLL50: Wann kollidieren mit voll50 Hilfsbereitschaft und Selbst-Bewusstsein?
CHRISTINE SCHWÄRZLER: Menschen, die sich ihrer selbst bewusst sind, geben gerne und sind bereit zu helfen. Mit 50 und den bis dahin gemachten Erfahrungen ist es leicht, eine Kollision von Hilfsbereitschaft und Selbst-Bewusstsein zu vermeiden. Hilfsbereitschaft UND Selbstbewusstsein mit 50? Ja, wenn nicht jetzt, wann dann?