Ein NEIN kostet so viel mehr Kraft als ein JA

Immer auf der Suche nach Vollkommenheit und neuen Erlebnissen, glaubt Voll50-Frau Inge Miglbauer fest an die Dauerhaftigkeit von Freundschaften und daran, dass die Motivation anderer kein Lippenbekenntnis sein darf.

VOLL50: Wann halten Freundschaften auch eine gewisse Unregelmäßigkeit aus?
INGE MIGLBAUER: Ich kann das nur für mich beantworten und in meinem Empfinden halten Freundschaften, die irgendwann mal richtig innig waren, immer Unregelmäßigkeiten aus. Echte Freundschaften halten ein leben lang für mich. Das kann aber daran liegen, dass ich mich mit Veränderungen schwer tue, ich hänge an gemeinsamen Erlebnissen und schönen Erinnerungen und Bildern. Je älter ich werde, desto mehr stelle ich auch fest, dass ich das bin. Ich bin diejenige, die solche Freundschaften oder Freundschaftskreise am Leben hält, und ich denke, das hab ich von meiner Mama. Aber ja, Freundschaften halten Unregelmäßigkeiten aus, gerade heutzutage mit den Kommunikationsmöglichkeiten, aber es bedarf auch der Zeit, und daran scheitert es oft. Speziell Freundschaften aus jungen Jahren halten Unregelmäßigkeiten aus, weil man soviel voneinander weiß oder weil man sich gern an die Zeit, als man jung war, zurückerinnert und die damit verbindet. Ich habe das Glück, beides zu haben, lange Freundschaften, die mein Leben ausmachen, ja meine Familie sind und Freundschaften, wo man nicht immer in Kontakt ist, aber in dem Moment, wo man sich trifft, ist alles wie immer. Man knüpft da an, wo wir uns zuletzt gesehen oder gehört haben, einfach wie wenn´s gestern gewesen wäre. Und darum Fazit, ja, echte Freundschaft hält das aus.

VOLL50: Wann liegt mit voll50 mehr Kraft in einem „Nein“ als in einem „Ja“?
INGE MIGLBAUER: Ganz einfach ab dem Zeitpunkt, wo man es mit über 50 endlich kann. Auch wenn es lächerlich klingt: Ich sage leider immer noch zu oft JA, obwohl ich NEIN sagen möchte, beruflich und privat. Und das ist in meinem Alter eigentlich ein Armutszeugnis, andere können das schon perfekt mit 20. Aber da ich mich nie sehr attraktiv empfand, dachte ich immer, ich muss mit Charme und Nettigkeit das wettmachen, und das ist halt schwer abzulegen. Also in einem ‚Nein‘ mit voll50 liegt bei mir alle Kraft, die ich aufbringen kann, weil ich ja etwas ablehne, was jemand von mir möchte. 100mal mehr Kraft als in einem ‚Ja‘! Und ich bin überzeugt, dass ich da nicht die Einzige bin, weil warum brechen sonst Frauen über 50 urplötzlich aus ihrem Leben aus und sagen NEIN. Wo das ganze Umfeld sagt, na was ist jetzt den los? Das erschreckt viel mehr, und es bedarf auch viel mehr Kraft, das zu tun, also NEIN zu etwas zu sagen.

VOLL50: Welche Art von Ruhe macht unruhig?
INGE MIGLBAUER: Zuviel Ruhe interpretiere ich als ‚ausgeschlossen sein‘, ‚ausgeschlossen aus dem Leben‘, und das bin ich zum Glück ganz selten. Der Spruch ‚Ich brauche mal Zeit für mich‘ ist für mich ein Fremdwort. Mich macht die Ruhe, die wohl viele sich wünschen, unruhig, ich mag auch kein Home Office. Ich fahre nicht allein auf Urlaub oder mag auch nicht allein an den See fahren, das macht mich unruhig. Und auch vertane Zeit macht mich unruhig, sinnloses Herumgetrödle, wo man viel erkunden oder erleben könnte. Diese Ruhe macht mit unruhig. Aber ich liebe die Ruhe auf einer Bergspitze oder in einer Kathedrale, das ist ganz wunderbar.

VOLL50: Wie viel Unvollkommenheit gestattet sich frau mit voll50?
INGE MIGLBAUER: Ganz ganz ganz schwierige Frage!!! Von mir ausgehend, leider gar keine Unvollkommenheit. Immer das Gefühl zu haben, alles 110prozentig erfüllen zu müssen, weil wenn nicht jetzt, wann dann, viel Zeit bleibt ja nimmer für eine über 50jährige, die quasi noch den „öffentlichen Fehler“ herumträgt, keine Kinder in die Welt gesetzt zu haben und nie verheiratet gewesen zu sein. Auch wenn ich beruflich schon erfolgreich bin, geschätzt werde – ich habe immer das Gefühl, doppelt soviel leisten zu müssen, verzeihe mir keinen Fehler, also es hält null Unvollkommenheit aus. Und was dazukommt: Je älter, desto schwieriger ist die Unvollkommenheit privat und beruflich zu schaffen, weil man halt langsamer wird. ABER ich denke, es liegt in vielen Fällen und bei mir sicher an der Erziehung beziehungsweise an dem, wie man es vorgelebt bekommt, und dieses Muster zu durchbrechen, ist einfach unsagbar schwer. Es auszuhalten dazustehen und zu sagen: ‚Na und, wurscht, ist sich nicht ausgegangen, nicht geschafft, nicht perfekt, solala gelaufen, vielleicht morgen,‘ ist wahnsinnig schwer, fast unmöglich und ist immer mit ‚ungenügend‘ oder ‚unvollkommen‘ verbunden.

VOLL50: Wie motiviert frau andere zur Eigenverantwortung?
INGE MIGLBAUER: Ist die schwierigste Frage für mich, weil Eigenverantwortung wofür!?!? Für ihre Gesundheit, die Gesellschaft, den Partner, ihre Jobauswahl? Und egal, welcher dieser Punkte – es ist schwer zu motivieren ohne eventuell jemanden zu kränken. Man muss dieser Motivation dann auch Eigeninitiative folgen lassen. Ich sag dir, du musst wirklich was tun für deine Gesundheit, dann muss ich auch sagen, ok, komm, ich nehme mir Zeit, ich geh laufen oder schwimmen mit dir. Oder im Job, leicht zu sagen, komm, du schmeißt das jetzt hin, es reicht. Aber dann muss man auch helfen, was Neues zu finden. Und da denke ich, setzt dann die Bequemlichkeit ein. Bei wem ist alles perfekt, wer weiß ob’s besser wird, egal in welchem der Punkte? Und vorbei ist es mit der Motivation für andere Frauen. Manchmal wird das, was andre als Motivation bezeichnen, als Bevormundung empfunden. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, und dann ist es eher kontraproduktiv. Ich denke nicht, dass ich schon andre Frauen zur Eigenverantwortung motiviert habe, aber eventuell weiß ich es nur nicht.

Lebenskunst ist keine Selbstläuferin

Wenn frau sich selbst verzeihen kann, fällt es auch bei anderen leichter, sagt Voll50-Frau Bettina Steinsberg. Eine stabile Mitte hilft dabei, wenn sie aus dem Bewusstsein erwächst: Fehler sind wichtig.

VOLL50: Was kann Lebenskunst mit voll50 – ist sie eine Selbstläuferin?
BETTINA STEINSBERG: Lebenskunst ist mit voll50 gut möglich, allerdings keine Selbstläuferin. Wir müssen uns mit uns selbst auseinandersetzen, mit unseren Träumen, Sehnsüchten, Ängsten und Verletzungen. Sonst holen sie uns früher oder später ein, und dann wird Lebenskunst schwierig. Wenn wir uns hingegen selbst gut kennen, dann kann uns mit voll50 nichts mehr so leicht aus der Bahn bringen. Denn wir wissen um unsere Leistungen, müssen niemandem mehr etwas beweisen, kennen und akzeptieren unsere Schwächen. Wir sind im Einklang mit uns. Das macht Lebenskünstler*innen aus.

VOLL50: Was braucht frau, um im Mittelpunkt stehen zu können?
BETTINA STEINSBERG: Eine starke Mitte. Zuerst muss frau selbst von sich überzeugt sein. Das ist gar nicht so einfach, wie es klingt. Frauen tendieren dazu, Erfolge äußeren Umständen zuzurechnen. Misserfolge hingegen nehmen sie persönlich und beziehen sie auf sich und ihre Fehler. Da hilft eine „Fehlerkultur“. Es ist nicht nur in Ordnung, Fehler zu machen, sondern extrem wichtig, dazu zu stehen, daraus zu lernen und daran zu wachsen. Dann kann ich gut im Mittelpunkt stehen.

VOLL50: Welche zwischenmenschlichen Verhaltensmuster sind mit voll50 immer noch spannend?
BETTINA STEINSBERG: Alle sind spannend. Das liegt an der Reife. Wir sind sensibler und nehmen mehr wahr. Wir sind reflektierter und stellen uns und unser Gegenüber mehr in Frage. Wir können besser diskutieren und unseren Standpunkt vertreten. Wir können unterschiedlicher Meinung sein, ohne darüber streiten zu müssen. Wir können uns auch gelassen zurücknehmen, wenn wir keine Chance sehen, in echte Beziehung zu treten. Das alles macht Beziehungen vielfältig und letztlich auch spannend.

VOLL50: Wie kann frau beim Verzeihen helfen?
BETTINA STEINSBERG: Verzeihen beginnt immer bei uns selbst. Wer sich selbst gut verzeihen kann, ist in der Lage, anderen beim Verzeihen zu helfen. Wenn Verzeihen schwerfällt, dann liegt oft eine tiefe Verletzung von früher dahinter. Frau kann zwar helfen, der Ursache auf den Grund zu gehen, warum jemand schwer verzeihen kann. Finden muss dieser Jemand die Ursache allerdings selbst und bereit sein, sowohl die Verletzung als auch die Heilung des Schmerzes anzunehmen.

VOLL50: Wie verändert sich das Gefühl für Geschwindigkeit mit voll50?
BETTINA STEINSBERG: Das ist subjektiv. In meinem Fall ist es so, dass ich schon immer quirlig und unruhig war, besonders als Kind. In der Schule war das ein Problem, in meinem ersten Job als Unternehmensberaterin hat es mir aber sehr geholfen, vor allem die schnelle Auffassungsgabe und das Tempo, das ich an den Tag gelegt habe. Allerdings habe ich mit den Jahren gemerkt, dass mir diese Geschwindigkeit nicht guttut. Ich habe mich ausgelaugt gefühlt, und dann kam die Sinnkrise. So bin ich zu meinem jetzigen Beruf gekommen. Shiatsu zu geben, ist für mich selbst ein Geschenk. Es bringt mich zur Ruhe und erdet mich. Das tut mir enorm gut. Darüber hinaus können auch meine Klient*innen die Erfahrung von tiefer Entspannung und Mitte-Finden erleben.

www.shiatsu-mittefinden.at

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Weder Anpassungsfähigkeit noch Naivität passen zu einer Voll50-Frau, sagt Christine Schwärzler. Unterwegssein ist für sie ein Muss, Warten auf morgen oder übermorgen überhaupt keine Option.

VOLL 50: Wo endet mit voll50 die Anpassungsfähigkeit?
CHRISTINE SCHWÄRZLER: Anpassungsfähigkeit ist die Fähigkeit, sich auf geänderte Anforderungen und Gegebenheiten einzustellen. Eine Kompetenz, die manchmal notwendig ist, die neue Türen öffnen kann, aber mit voll50 kein Muss ist. Das Privileg von vollfünfzig ist, sich in manchen Situationen – sowohl beruflich als auch privat – nicht mehr anpassen zu müssen.

Anpassungsfähigkeit hat nicht nur mit vollfünfzig Grenzen. Meine Anpassungsfähigkeit endet, wenn ich mich einfach nicht anpassen möchte, wenn ich mich verbiegen, wenn ich meine Überzeugungen negieren müsste. Ein menschliches Chamäleon zu sein ist meiner Meinung nach weder vor50 noch mit voll50 oder nach50 erstrebenswert. Auch wenn es heißt, dass weder die stärkste noch die intelligenteste Spezies überlebt, sondern die angepassteste, ist das kein Argument für mich. Im Gegenteil – oft sind nämlich die Unangepassten die Interessantesten.


VOLL50: Inwiefern beeinflusst Naivität die Ausstrahlung?
CHRISTINE SCHWÄRZLER: Meine ersten Assoziationen zu Naivität sind eher negative. Synonyme zu diesem Nomen sind laut Duden Arglosigkeit, Einfachheit, Einfalt, Harmlosigkeit. Wie kann Naivität da die Ausstrahlung positiv beeinflussen? Ahnungslos, arglos, blauäugig und einfältig zu sein, kann nicht wirklich erstrebenswert sein. Meiner Meinung nach haben naive Menschen keine besondere oder eine negative Ausstrahlung. Menschen, die wenig Erfahrung mitbringen, unkritisch und einfältig agieren, strahlen in meinen Augen nicht viel aus.

VOLL50: Worauf sollte frau mit voll50 auf keinen Fall mehr warten?
CHRISTINE SCHWÄRZLER: Auf morgen oder gar auf übermorgen. Jetzt im Moment leben ist mit voll50 wichtiger denn je. Nichts mehr aufschieben, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, Dinge zu tun, die man/frau immer tun wollte, dorthin zu reisen, wohin man/frau immer schon wollte, das zu sagen, was man/frau immer schon sagen wollte.

VOLL50: Wie wirkt es sich aus, wenn man das Unterwegssein übertreibt?
CHRISTINE SCHWÄRZLER: Kann man das Unterwegssein übertreiben? Gibt es denn Schöneres als unterwegs zu sein? Reisen und Unterwegssein mit meinem Mann und meiner Familie sind die schönsten Tätigkeiten, die ich mir vorstellen kann. Nichts mehr genieße ich, als mit ihnen unterwegs zu sein, Neues kennenzulernen, gemeinsame Erfahrungen zu machen und Erinnerungen zu kreieren. Sammle Momente, nicht Dinge; die schönen Momente sind es, die bleiben. Neue Abenteuer kann man nur erleben, wenn man unterwegs ist und nicht stillsteht.

VOLL50: Wann kollidieren mit voll50 Hilfsbereitschaft und Selbst-Bewusstsein?
CHRISTINE SCHWÄRZLER: Menschen, die sich ihrer selbst bewusst sind, geben gerne und sind bereit zu helfen. Mit 50 und den bis dahin gemachten Erfahrungen ist es leicht, eine Kollision von Hilfsbereitschaft und Selbst-Bewusstsein zu vermeiden. Hilfsbereitschaft UND Selbstbewusstsein mit 50? Ja, wenn nicht jetzt, wann dann?

Langeweile – was ist das?

Foto: Andreas Hüttner

Petra Adelsberger kann erkennen, wann eine Frau sich selbst achtet. Und sie weiß, dass es oft viel bunter wird, wenn man durch eine Hintertüre geht. Ihre ist rot gestrichen.

VOLL50: Wann entsteht aus Langeweile etwas positives?
PETRA ADELSBERGER: Langeweile – was ist das?

VOLL50: Auf welcher Hochzeit sollte frau mit voll50 auf gar keinen Fall tanzen?
PETRA ADELSBERGER: Auf der Hochzeit von „Gefallen wollen“ und „recht machen“. Da tanzen wir oft auf Hochzeiten, auf die wir nicht so gerne eingeladen werden. Das sollten wir nicht mehr tun. Das Tanzen macht nur Spaß, wenn die richtige Musik spielt. Ohhh – da klingt jetzt sehr lässig! Ich wünsche mir, dass es auch manchmal so wäre……

VOLL50: Mit welchen Farben und /oder Mustern würdest du eine Hintertüre bemalen?
PETRA ADELSBERGER: Rot – damit sie sichtbar ist und nicht vergessen wird. Hintertüren geben eine Sicherheit, und wenn man durchgeht, ist es oft viel bunter als man sich es vorstellen kann.

VOLL50: Wie kann frau mit voll50 Liebe definieren?
PETRA ADELSBERGER: Liebe ist so ein schönes Wort und das Schönste, was man fühlen kann. Die Definition für mich ist die Hingabe für das Leben, für einen selbst, für die Kinder, für den Partner, für die Natur und für die Menschen – wo jeder so wunderbar und einzigartig ist. Das zu spüren, das ist für mich Liebe.

VOLL50: Woran erkennt frau Selbstachtung bei sich und anderen?
PETRA ADELSBERGER: Frauen, die sich selbst achten, strahlen das aus. Ich sehe und ich spüre das. Das fällt mir jetzt schwer zu beschreiben, weil mir die Worte fehlen. Für mich geht es um Liebe (natürlich), Wertschätzung, Achtung und Freude mit sich selbst. Zu tun und zu sagen, was für einen wichtig ist. Hinter sich zu stehen in guten wie in schlechten Zeiten.

https://petra-adelsberger.at

Vom Nimmerleinstag der Erwartungen

Realitätsfremd auf dem Boden der Tatsache stehen, dem Gesicht ein paar unverfälschte Lebenszüge geben, im Elfenbeinturm schaukeln – für Gerti Krawanja ist das die Kunst des Lebens.

VOLL50: Wie realitätsfremd dürfen wir mit voll50 sein?
GERTI KRAWANJA:
Im Grunde dürfen wir hierzulande ja alles sein – ob realitätsfremd, -verweigernd oder -verlustig. Ich muss zugeben, dass ich all dies verstärkt beobachte. Man könnte annehmen, dass ab einem gewissen Alter die Fähigkeit zur Unterscheidung von Realität und Fiktion gegeben ist, was angesichts der Medienvielfalt aber immer schwieriger wird. Realitätsfremd im Sinne von „träumerisch“ und „visionär“ zu sein, ist gut und wichtig, fraglich finde ich hingegen, wenn voll50-frau auf eine weltfremde Schiene kommt, in der keine andere Sichtweise mehr Platz hat. Da fehlt mir ehrlich gesagt die nötige Toleranz. Also ja, gerne realitätsfremd, aber bitte auf dem Boden der Tatsachen.

VOLL50: Was kann man an einem Gesicht idealerweise ablesen?
GERTI KRAWANJA:
Bestenfalls noch ein paar unverfälschte Lebenszüge. Ich meine damit, dass in einer Welt voller Manipulation und chirurgischer Möglichkeiten das Maß an Regungen allmählich verloren geht. Ich hoffe nicht, dass sich diese Entwicklung so fortsetzt. Wenn ich mir die Gesichter zum Beispiel im TV heutzutage so anschaue, dann sehe ich größtenteils dieselben Ausdrucksweisen, vielleicht auch weil man es den Menschen so antrainiert. Idealerweise lese ich an einem Gesicht die volle Aufmerksamkeit und Authentizität beim Gespräch, einen offenen Blick und viele Lachfalten, in jedem Fall aber den Mut, jede einzelne Alterserscheinung mit Würde anzunehmen. Und ganz ehrlich: Ein Gesicht, das auf Weisheit beruht, wird man sich viel eher merken als tausend beliebige.

VOLL50: In welche Gewohnheit sollte frau mit voll50 auf jeden Fall frischen Wind bringen?
GERTI KRAWANJA: Gewohnheiten haben ja oft mit Bequemlichkeit zu tun: Der Mann, der sich abends auf die Couch setzt und auf das Essen wartet. Die Frau, die das Essen bringt und nach zig Ehejahren noch auf ein Lob wartet, das nie kommen wird. Warum nicht einmal den Spieß umdrehen und schauen, was passiert? Wer weiß, vielleicht wird im Ehemann der leidenschaftliche Koch geweckt. Schlimmstenfalls endet das Experiment mit Trennung, aber auch die Voll50-Frau darf noch die Bekanntschaft mit dem Alleinsein machen. Vielleicht ist es ein Segen für beide. Ich glaube, das Hausmütterchendasein hat ausgedient, allerdings soll sich keine Frau heute schämen müssen, gerne Hausmütterchen zu sein. Ich finde die Gewohnheit der Angepasstheit ohnehin das Übel der Menschheit, weil sich dann nichts oder alles in eine falsche Richtung bewegt. Auch die Gewohnheit, sich mit anderen zu vergleichen ist fatal. Wir sind alle einzigartig und dürfen das ruhig zeigen. Das bedeutet aber nicht, dass man vor lauter Individualismus vergisst, Rücksicht auf andere zu nehmen. Ein gesundes Mittelmaß in allem zu finden, ist wohl die Kunst des Lebens.


VOLL50: Welche Erwartungen (anderer) dürfen auf den Nimmerleinstag warten?
GERTI KRAWANJA:
Mit Erwartungen habe ich ohnehin so meine Probleme, weil sie die Tendenz haben, enttäuscht zu werden. Wenn sie übertroffen werden, dann ist es natürlich gut. Man kann es sich aber auch zur Gewohnheit machen (siehe obige Frage), wie ein Kind ohne Erwartung in den Tag zu gehen und staunend festzustellen, welche Geschenke er bereithält. Konkret gefragt, kann die Erwartung anderer, mich auf Meinungen, Klischees oder Lebensformen festnageln zu wollen, gerne auf den Nimmerleinstag warten. Andererseits habe ICH die Erwartung aufgegeben, dass der Mensch aus Fehlern lernen möge und Gerechtigkeit die Erde erfüllt.

VOLL50: Wie sieht Dein Zimmer im Voll50-Elfenbeinturm aus?
GERTI KRAWANJA: In meinem Voll50-Elfenbeinturm trifft sich jung mit alt, hell mit dunkel, bunt mit unifarben. Ich sitze auf einem weißen Schaukelstuhl und schaue aus großen Glasfenstern in eine weite hügelige Landschaft mit Wäldern und saftigen Wiesen. Die Sonne verschwindet langsam hinter den Hügeln und lässt das Firmament rot leuchten. Irgendwo sehe ich noch Kühe auf der Weide, die friedlich grasen. Ein Sturm zieht auf und lässt die Bäume hin und her schwenken. Neben mir steht ein antikes Holztischchen mit heißem Tee oder Kaffee in Griffweite. Meine Gedanken sind weit und inspirativ – unvermittelt nehme ich mein Notizbuch und schreibe glückselig auf Seite 345 die letzte Seite meines Romans fertig. Uups, jetzt bin ich aufgewacht.

„Es müssen sich die Prioritäten verschieben dürfen“

Fotocredit: Bernd Alfanz

Beruflich zeigt Gertraud Klemm ihre Gefühle nur dann, wenn es notwendig ist. Privat kommen sie raus, wenn es pressiert. Schnell muss es auch gehen mit dem Umdenken, was den Zustand unseres Planeten angeht, sagt sie.

VOLL50: Welches ethische Prinzip ist mit voll50 nicht verhandelbar?

Gertraud Klemm: Die aufrichtige Selbstreflexion, was den Zustand unseres Planeten betrifft und dass es persönliche Konsequenzen haben muss. Mit 50 sollten wir so weit sein, jeden Konsum, jede Reise, jedes Schnitzel, jedes Ohrenstäbchen und jede Wählerstimme genau zu hinterfragen, damit für die Generationen danach noch Ressourcen und ein lebenswerter Planet übrig bleibt. Wenn ich mir ansehe, wie nachhaltig, besorgt und wohlbedacht die jüngeren Generationen ihr Leben gestalten, tut es mir besonders weh, älteren Generationen beim Konsumieren und Wählen ohne Reue und Hirn zuschauen zu müssen. Um zu kapieren, dass wir da eine Revolution brauchen, muss man keine eigenen Kinder haben. Allerallerspätestens mit 50 sollte uns diese Verantwortung bewusst sein. Alles andere ist bösartige Ignoranz.

VOLL50: Willenskraft und Loyalität – Gegner oder Geschwister?

Gertraud Klemm: Geschwister, die sich nicht immer gut verstehen müssen. Willenskraft in der Sache und Loyalität mit Menschen, die meine Loyalität verdienen. Im Detail kann es kniffelig werden – aber ich habe eine Faustregel: dort, wo sie einander gegnerisch verhalten, liegt, zumindest in meinem Arbeitsbereich, ein Hund begraben, der vielleicht auf den ersten Blick gar nicht als ein solcher ersichtlich ist. Aber ich habe es auch leicht. Ich arbeite als Einzelperson, gehöre keiner Struktur an und bin keine Politikerin. Die müssen sich die Frage dauernd stellen.

VOLL50: Wann sollte frau mit voll50 unbedingt Gefühle zeigen?

Gertraud Klemm: Privat: wann immer es pressiert. Beruflich: nur wenn es notwendig ist, und sehr dringlich. In meinem Beruf wird es schnell haarig: Ernsthaftigkeit, Gefasstheit, Bühnentauglichkeit, Schlagfertigkeit – das sind alles Eigenschaften, die nicht mit großen Emotionen zusammengehen. Andererseits evoziert der Text ja Emotion – die muss aber beim Text bleiben, finde ich. Das geht halt nicht immer. Angst, Tränen, Rührung, Freude – vor einem Publikum werden Gefühle schnell zu unfreiwilligen Inszenierungen. Wir sind aber keine Schauspielerinnen!
Ich bin einmal nach vier wahnsinnig aufregenden und anstrengenden Tagen beim Bachmannwettbewerb in Tränen ausgebrochen – den verächtlichen Blick einer Jurorin werd ich nie vergessen. Die Blöße würde ich mir nicht mehr geben – heute würde ich am Klo weinen, mir das Gesicht waschen und dann wieder Souveränität ausdünsten. Mit dem Zeigen von Emotionen bin ich viel kompetenter geworden. Das ist das Schöne am Altern: dieser reiche Erfahrungsschatz.

VOLL50: Ist frau irgendwann einmal gut genug in dem, was sie tut oder ist?

Gertraud Klemm: Das Gutsein hängt meiner Meinung nach mit der Lebenserfahrung zusammen. Je genauer und mehr Erfahrungen, desto besser das Handwerk der Imagination, und auch das der Empathie – und das ist ja nicht nur beruflich, sondern auch gesellschaftlich sehr wertvoll. In meinem Beruf aber besonders. Andererseits müssen sich auch die Prioritäten verschieben dürfen. Solange noch Engagement, Kraft oder Feuer da ist, möchte ich mich noch beruflich steigern dürfen. Je älter ich werde, desto mehr sehe ich, was meine Bücher und Texte verbindet; und dass alles auf ein Werk hinausläuft, das langsam wächst und dessen Endgestalt ich nicht kenne. Derzeit sehe ich die nächsten drei Bücher schon ziemlich konkret. Momentan kann ich mir nicht vorstellen, dass mir die Ideen und der Spaß jemals ausgehen – im Gegenteil. Aber ich will auch mal müde werden dürfen. Oder gemächlicher. Was mich antreibt – zum Beispiel diese Frauenthemen – ist kein realistisches Ziel für meine verbleibende Lebenszeit, auch nicht, wenn ich sehr alt werde. Gegen solche Zustände jahrzehntelang anzuschreiben, ohne das sich was verbessert (sondern sich vielleicht sogar verschlechtert, sowie gerade in USA, Ukraine und Afghanistan), verlangt mir jetzt schon viel ab. Irgendwann hat man vielleicht alles schon gesagt und sich schon mehrfach wiederholt. Das passiert mir doch schon jetzt, dass ich mir denke: verdammt, dieser Text ist wie Erbrochenes, das ich jetzt sortiere, aber wenigstens ist es mein eigenes. Das alles ohne Verbitterung hinzukriegen, wird schon eine Challenge. Wenn ich überhaupt alt werden darf. Vielleicht habe ich auch irgendwann einmal ausgeschrieben; das soll dann auch so sein dürfen. Ich wünsche mir, dass ich das dann auch mitkriege und es annehmen kann. Dann kann ich ja was Neues beginnen – etwa endlich ein Gemüsebeet anlegen, das Klavierspiel intensivieren, oder in die Vogelbeobachtungen eintauchen. In diesen Dingen würde ich schon lange gerne auch gut sein.

VOLL50: Wofür sollte frau sich mit voll50 engagieren?

Gertraud Klemm: Für irgendetwas, nein, für alles, was mit Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit zu tun hat. Das sind wir den Generationen nach uns schuldig.

www.gertraudklemm.at

„Jetzt will ich’s nochmal wissen“

Zur Lebensmitte noch einmal durchstarten, nach neun Jahren Singledasein sich frisch verlieben – das passt alles in das Leben von Claudia Held. Sie möchte vergebene Chancen nie bereuen müssen.

VOLL50: Wann war der Drang zur Selbstverwirklichung nicht mehr auszuhalten?

Claudia Held: Mit 50, Halbzeit – jetzt will ich’s nochmal wissen. Die Tochter aus dem Haus, privat endlich angekommen, hatte ich schon länger den Drang, dass da noch mehr geht. Und mit der Eröffnung meiner kleinen Krimi-Fachbuchhandlung erfüllte ich mir einen lang gehegten Traum, doch dieses Herzensprojekt würde es ohne die tatkräftige Unterstützung meiner Familie nicht geben.

VOLL50: Woran erkennt man mit voll50 einen Menschen mit Charisma?

Claudia Held: Herzlichkeit, positive Ausstrahlung und gesunde Einstellung zum Leben. Eins sein mit sich und der Welt.

VOLL50: Wann wird aus Trauen Ver-Trauen?

Claudia Held: Der erste Schritt ist bekanntlich der schwierigste. Mit 50 den geregelten Job an den Nagel hängen und mich selbstständig zu machen, war so einer für mich, aber man muss sich TRAUEN, denn verpasste Chancen wird man am Ende immer bereuen.

Mit dem VERTRAUEN ist es fast noch schwieriger. Denn Vertrauen bedeutet Zeit. Vertrauen kann nur mit der Zeit entstehen, und da wir alle in einer sehr schnellen Zeit leben und die Ungeduld immer wieder aufkommt, heißt es durchhalten, egal ob beruflich oder privat. Doch wenn man am Ende zurückblickt, in meinem Fall auf ein Jahr Selbstständigkeit, weiß man, dass es sich lohnt, auf sich selbst zu VERTRAUEN.

Wenn Zweifel und Ungeduld versuchen die Oberhand zu gewinnen, begleiten mich immer zwei Leitsprüche: „Wenn eine Tür zu geht, geht ein Fenster auf“ und „Alles hat seine Bestimmung und wird am Ende gut“

VOLL50: Wie schafft frau mit voll50 den Übergang von der Selbstakzeptanz zur Selbstliebe?

Claudia Held: Ich bin froh, dass meine Mutti uns, meine jüngere Schwester und mich, früh in allem bestärkt hat ( Aussehen, Schule,..) und ich sehr unproblematisch durch meine Teenagerjahre gelaufen bin. Ich habe mich immer in meinem Körper, Beruf, Leben wohl gefühlt und mich immer so akzeptiert, wie ich bin. Dann mit Mitte zwanzig war ich auf einmal Single und alleinerziehend. Diese lange Zeit hat mich sicher sehr geprägt, so dass aus meiner Selbstakzeptanz Selbstliebe geworden ist. In dieser herausfordernden Zeit hatte ich, trotz allem, viel Zeit für mich (ME TIME), und ich bin überzeugt – wenn wir alle mehr auf uns selbst achten – , dass der Übergang von Selbstakzeptanz zur Selbstliebe leichter und früher sein kann. Und es wäre schön, wenn Selbstliebe nicht vom Alter abhängig wäre.

VOLL50: Muss ein Singledasein weh tun?

Claudia Held: Nein, ich war über 10 Jahre Single und ALLEIN-erziehend, aber nie EINSAM! Ein Netzwerk bestehend aus meiner Familie, alten und neuen Freunden, netten Arbeitskollegen und Vereinsfreunden hat nie Einsamkeit aufkommen lassen. Ich habe meine Freiheit/ Alleinsein/Me Time auch sehr genossen. Vor neun Jahren habe ich mich von meinem Single-Lebensabschnitt verabschiedet, weil ich meinen jetzigen Mann über Freunde kennengelernt habe. und ein neuer Lebensabschnitt hat begonnen.

https://www.krimihelden.at/

„Ich kreiere mein kleines Paradies selbst“

Glück und Zufriedenheit haben viel mit dem eigenen Mindset zu tun, sagt Sabine Holzer. Trotzdem hört sie gerne und oft auf ihr Bauchgefühl.

VOLL50: Wie stellt sich frau mit voll50 das Paradies vor?

Sabine Holzer: Da fällt mir ganz spontan das Schlaraffenland ein: Milch, Honig und Wein fließen in den Flussbetten, Häuser sind aus Kuchen und Essen fliegt mundfertig durch die Luft. Genießen ist die größte Tugend, harte Arbeit wird als Sünde betrachtet und gegen das Altern gibt es einen Jungbrunnen!

Nein, Spaß beiseite! Das Paradies ist in meiner Vorstellung ein wunderschöner Ort, an dem jeder tun kann, was er|sie|es tun will, wo alles Sinn und Freude macht und jeder zufrieden und glücklich ist. Wo alle Lebewesen achtsam und wertschätzend miteinander umgehen, wo es keinen Hass, keinen Neid und keine Missgunst, sondern alles von Liebe und Vertrauen getragen wird. Wo es keine Zeit, kein Geld, keine Krankheiten, keine Religion und keine Kriege gibt.

Und nachdem das alles mehr als utopisch ist, kreiere ich mir mein kleines Paradies (soweit möglich und umsetzbar) selbst – denn Glück und Zufriedenheit haben viel mit dem eigenen Mindset zu tun.

…obwohl mit dem Jungbrunnen aus dem Schlaraffenland könnte ich mich schon anfreunden! *ironieoff*

VOLL50: Welches Lied ist für Dich Ausdruck von Hoffnung und warum?

Sabine Holzer: Das ist eindeutig „Imagine“ von John Lennon. Der Text beinhaltet eigentlich alles, was ich in der vorigen Antwort beschrieben habe:

Stell dir vor, es gäbe kein Himmelreich…
Stell dir vor, alle Menschen leben nur für das „Heute“…
Stell dir vor, es gäbe keine Länder und auch keine Religion…
Stell dir vor, alle Menschen leben ihr Leben in Frieden…

Stell dir vor, es gäbe keinen Besitz mehr…

Keinen Grund für Gier oder Hunger…
Eine Menschheit in Brüderlichkeit…

Du wirst vielleicht sagen, ich sei ein Träumer,
aber ich bin nicht der Einzige.
Ich hoffe, eines Tages wirst auch du einer von uns sein,
und die ganze Welt wird eins sein.

John Lennon wurde übrigens am 08.12.1980 erschossen – das war mein 14. Geburtstag…☹

VOLL50: Woran erkennt frau mit voll50, ob man sich dem richtigen oder dem falschen Anliegen hingibt?

Sabine Holzer: Darüber mache ich mir ehrlich gesagt keine Gedanken. Denn egal, welchem Anliegen ich mich widme oder hingebe, passt es in diesem Moment für mich, ich höre einfach auf mein Bauchgefühl. Alles weitere zeigt sich dann…und selbst, wenn es augenscheinlich retrospektiv „falsch“ war, so ziehe ich (meistens) meine Lehren draus. In meinem Leben gab es unzählige „positive“ und auch viele „negative“ Ereignisse – für mich zählt nur, nichts zu bereuen, denn all diese Erlebnisse haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin – und ich bin glücklich und zufrieden mit mir selbst!

VOLL50: Wann sind FreundInnen falsch?

Sabine Holzer: Eine spannende Frage…hhmmm ehrlich gesagt, ich bin da trotz meiner 55 Lenze ein bisschen naiv und das ist gut so, denn ich glaube vorrangig an das Gute im Menschen. Ich investiere in Freundschaften immer sehr viel Zeit und Herzblut, weil ich möchte, dass es allen rundherum gut geht. Und eine gewisse Zeit ignoriere ich schon mal Warnsignale, die mir mein Bauch sendet. Wenn eine Freundin dann aber illoyal und unehrlich ist, es in Gesprächen immer nur um sie geht und sie sich eigentlich nicht für mein Leben interessiert oder ich erfahre, wie sie hinter meinem Rücken negativ über mich spricht – dann fange ich intensiv zu reflektieren an und schaue genau hin, wie es um die Freundschaft bestellt ist, ob es eine Balance zwischen „Geben & Nehmen“ gibt. Wenn ein klärendes Gespräch keine Besserung bringt, endet das dann meist im Abbruch der Freundschaft und meine „Tür“ geht zu und sehr selten wieder auf…

VOLL50: Welcher Tipp ist der wertvollste für eine Voll50-Frau?

Sabine Holzer: Sei du selbst, alle anderen gibt´s schon! Bleib´ dir treu, hör auf dein Bauchgefühl und lass dich in deiner Stärke nicht (aus)bremsen. Hab´ Träume und verwirkliche sie, lebe im Jetzt und im Hier, heb´ dir nichts für Morgen auf, sondern genieße alles in vollen Zügen – wir alle haben nur dieses eine Leben! Frei nach Mark Twain: Tanze, als würde niemand zusehen. Singe, als würde niemand zuhören. Liebe, als würdest du niemals verletzt. Lebe, als wäre der Himmel auf Erden!

www.office-profi.at

„Das Projekt ICH ist noch lange nicht abgeschlossen“

Wenn man sich wie Sigrid Leutgeb-Webersdorfer dazu entschließt, so zu leben, wie man es will, tut sich einiges in der eigenen Biographie. Und herauskommen kann ein wunderbares, neues Leben.

VOLL50: Welches Projekt sollte mit voll50 an oberster Stelle stehen?

Sigrid Leutgeb-Webersdorfer: Das eigene ICH, die eigene Person. Das ist sowieso ein Projekt, dass wahrscheinlich keine Deadline hat, sondern vom ersten Tag der Geburt bis zum letzten Tag im Leben immer ein Projekt bleibt, aber halt unterschiedliche Phasen hat.

So ist man als Kind noch stark von den Eltern abhängig, als Jugendliche findet man Eltern uncool und orientiert sich an Freunde und Menschen außerhalb der Familie. Irgendwann verliebt frau sich, gründet eine Familie oder auch nicht. Die eigene Person ist da aber auch nicht so im Fokus. Die Karriere ist wichtig, somit wieder eine Orientierung außerhalb des eigenen Ichs, um vielleicht der Gesellschaft, einzelnen Personen zu entsprechen und deren Erwartungshaltung zu erfüllen. Ich habe mit etwa 48 Jahren begonnen, mich auf mich zu konzentrieren, ohne egoistisch zu sein, aber mir wurden einfach mein Ich, meine Empfindungen, meine Gedanken, meine Gefühle, mein Fokus auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben wichtiger, trennte mich von Menschen, die mir nicht gut taten, begann Hobbies, wie beispielsweise das Klettern, das ich davor nicht tat, da mein Ex-Mann dies nicht wollte. Ich begann mein Leben auf meine Bedürfnisse auszurichten und merkte, dass es mir so richtig gut ging.

Ich begann zu LEBEN, so wie ich es wollte, und das hat sich auch mit 53 Jahren nicht geändert. Ich bin nun wieder verheiratet, bin relaxt und gestalte mein wunderbares Leben bewusst so, dass meine Bedürfnisse, mein Ich nicht zu kurz kommen. Ich habe vor zwei Jahren meinen verdammt gut bezahlten Job aufgegeben, weil ich nicht mehr fremdbestimmt sein wollte. Ich wollte Frau meiner Zeit sein und bin in die Beratung gegangen, arbeite jetzt wahrscheinlich mehr als zuvor und verdiene viel weniger, kann mir meine Zeit einteilen und bin drei bis vier Monate im Jahr auf Urlaub. Was noch kommen wird, weiß ich nicht. Ich weiß jedoch, dass ich auf meine Bedürfnisse höre, mein Leben in die Hand nehme und das mache, was Spaß macht.

Also, um auf die Frage zu Beginn noch mal zurückzukommen – ja, ICH stehe im Mittelpunkt, und das Projekt ICH ist noch lange nicht abgeschlossen. Und das ist gut so!

VOLL50: Welche Einrichtungsgegenstände sollte das innere Zuhause unbedingt haben?

  • Selbst-Vertrauen und Selbst-Bewusstsein, um das Projekt ICH am Ende gut abschließen zu können und keine Wehmut der Versäumnis zu verspüren
  • Freiheit, verbunden mit Neugierde und Offenheit, um für Veränderungen immer offen zu sein und die unterschiedlichen Wege, die frau im Leben beschreiten kann, nicht zu übersehen.
  • Empathie, Liebe und Anteilnahme, um auch das Geben nicht zu vernachlässigen
  • Ungeduld, um im Leben nicht still zu stehen
  • Zufriedenheit, um das genießen zu können, was ist
  • Glück wahrscheinlich auch, wobei mir die Zufriedenheit wichtiger ist
  • Krisen, um sich weiterzuentwickeln und zu lernen
  • Raus aus der Komfortzone, um die Herausforderungen des Lebens proaktiv anzunehmen und zu gestalten

Ich denke, das innere Zuhause ist schon gut eingerichtet, und die noch freien Räume sind dazu gedacht, für Ungeplantes noch Space zu haben. Ich möchte nicht alles verstellen ….. 😉

VOLL50: Wann kann Frau mit voll50 stolpern, auch wenn sie einen Schritt nach dem anderen macht?

Sigrid Leutgeb-Webersdorfer: Das ist eine sehr gute Frage. Ich würde es aber nicht stolpern nennen, sondern Weiterentwickeln oder Lernen. Also sinngemäß – hinfallen – Krone richten – aufstehen – weitergehen und beim nächsten Stolpern – das Gleiche …., aber nie stehen bleiben!!!

VOLL50: Ist Geduld eine Qualität oder eine Qual?

Sigrid Leutgeb-Webersdorfer: Weder – noch oder beides! Ich persönlich empfinde Geduld dann als Qualität, wenn dies mit Gelassenheit und Zufriedenheit zu tun hat, also wenn ich so richtig in meiner Mitte bin und selbst entscheide, was ich will und was mir gut tut. Für mich wird Geduld haben MÜSSEN zur Qual, wenn ich nicht will, aber muss, also mir dies von außen diktiert wird. Da kann es gut sein, dass ich ausbreche und dann selbst entscheide, ob ich geduldig sein will oder ungeduldig. Das heißt, für mich ist der entscheidende Punkt, kann ICH Geduldigsein selbst zu entscheiden oder nicht.

VOLL50: Was ist mit voll50 die wichtigste Facette von Selbstachtung?

Sigrid Leutgeb-Webersdorfer: Eine wunderschöne Frage, mit der ich mich sehr gerne auseinandersetzen mag. Die wichtigste Facette von Selbstachtung ist für mich, sich selbst anzunehmen – mit allem, was mich ausmacht, mit allen Ecken und Kanten, Stärken und Schwächen, und dass ich mir selbst und anderen Liebe schenken und Empathie entgegenbringen kann.

Eine weitere Facette von Selbstachtung ist für mich, das eigene Verhalten an der eigenen Werteorientierung ausrichten zu können und meine Werte nicht zu verleugnen, nur um es anderen recht zu machen. Übrigens – für mich ein echter Luxus mit voll50. Und somit schließt sich der Kreis zur ersten Frage wieder! Frei nach dem Motto: Das Leben ist – so wie es ist – schön, von einfach war nie die Rede 😊

„Endlich Zeit, auf das Herz zu hören“

Anstöße, die eigene Biographie gerne zu teilen, gibt es viele, sagt Gudrun Winklhofer – vor allem wenn man ein Leben wie sie geführt hat, das zuerst vom Niederreißen und dann vom Bewahren erzählt.

VOLL50:Was will frau mit voll50 noch niederreißen?

Gudrun Winklhofer: Niederreißen sollen wir Frauen die Vorstellung, es allen recht machen zu müssen – egal, ob mit 30, 40, 50 oder wann immer. Niederreißen sollen wir auch die verfestigten Glaubenssätze, die uns Grenzen setzen und unsere Kreativität daran hindern, sich frei zu entfalten. Gerade dann, wenn wir mit voll50 mitten im Leben stehen. Die gelebten Jahre haben uns so vieles gelehrt. Wir haben gute und schlechte Erfahrungen gesammelt. Andere Menschen haben durch uns diese Erfahrungen gemacht. Haben wir jemanden verletzt, denken wir oft viel zu lange darüber nach. Auch wenn wir uns entschuldigt haben, bauen wir Mauern aus schlechtem Gewissen auf, diese sollten wir ebenfalls niederreißen. Viele Frauen – ich kenne einige – reißen mit voll50 alles nieder und schaffen Platz für sich und ihre Interessen. Die Familiensituation hat sich geändert, der Beruf macht keine Freude mehr. Endlich Zeit, auf das Herz zu hören und etwas Neues zu wagen.

„Niederreißen“, ein starkes Wort. „Gestalten“ gefällt mir persönlich in mancher Hinsicht besser. Vergleiche ich mein Leben mit einem Garten, habe ich viele Bäume, Sträucher und Blumen angepflanzt, gehegt und gepflegt. Habe sie mit Wasser und Nährstoffen versorgt, von welken Blättern und Blüten befreit, mit ihnen gesprochen und liebevoll ihre Blätter, Stängel und Stämme berührt. Trotz meiner Fürsorge haben nicht alle Pflanzen überlebt. So wie in einem Garten ist es auch in meinem Leben: Seit je her bin ich mehr oder weniger heftig am Umgestalten. Manche Entscheidungen – Trennungen, mein Umzug nach Spanien, fünf Jahre später die Rückkehr nach Österreich und viele andere Meilensteine – waren für mein Umfeld nicht so leicht nachvollziehbar. Wie viele Menschen haben mich insgeheim wohl für verrückt erklärt? Das möchte ich gar nicht wissen, es ist ja auch egal, es ist mein Leben. Niederreißen. Verändern. Erneuern. Für mich hat es sich angefühlt, als müsste ich fest verwurzelte Bäume ausgraben. Das war anstrengend! Und hat oft wehgetan! Und hat mich viel Kraft und Tränen gekostet! Trotzdem habe ich einiges niedergerissen, aber das war fast alles vor meinem 50. Lebensjahr. Jetzt, mit Ende 50, möchte ich lieber das bewahren, was mir gut gelungen ist. Ich möchte meinen Garten des Lebens gestalten und pflegen. Und ich möchte der Freigeistin in mir und meiner Kreativität Raum geben (vor allem dem Schreiben, das neben meinem Hauptberuf als Taxiunternehmerin leider viel zu kurz kommt).

Mit einigen Glaubenssätzen hadere ich noch. Die muss ich tatsächlich noch niederreißen. Und vielleicht auch einmal die Mauern, die ich nach mehreren Enttäuschungen um mein Herz errichtet habe. Die Freigeistin in mir und ich arbeiten daran. 😉

Zum Gestalten und Verändern passt mein Lebensmotto, das ich für mich gewählt habe:

„Bleib nicht immer so, wie du bist,

aber bleib immer du selbst.“

(GW)

VOLL50: Woran merkst du, dass die Intuition den Kopf überrumpelt hat?

Gudrun Winklhofer: Das ist eine gute Frage! Das merke ich sehr oft, in dem ich dankbar dafür bin, den „richtigen Riecher“ gehabt zu haben. Oft kann ich gar nicht nachvollziehen oder erklären, warum ich mich für oder gegen einen Menschen, eine Sache oder eine Situation entscheide. Dann frage ich mich, warum in alles in der Welt die Winklhoferin jetzt DAS macht! So manches Mal bekomme ich die Bestätigung für die Richtigkeit meines Tuns recht schnell, manchmal erst sehr viel später. Es ist tatsächlich so: Während Kopf und Herz hin und her überlegen, abwägen und sich hin und wieder streiten, hat die Intuition als lachende Dritte längst entschieden … Wir alle – ich nehme mich da nicht aus, denn immer höre ich auch nicht auf mein Bauchgefühl – sollten hin und wieder den Verstand ausschalten und der Intuition vertrauen!

VOLL50: Was muss passieren, damit frau mit voll50 die eigene Biographie gerne mit anderen teilt?

Gudrun Winklhofer: Frau muss authentisch sein, zu sich, zu ihren Gefühlen und zu ihrer eigenen Geschichte stehen. Ob und wie sehr sie andere daran teilhaben lässt, hängt von vielen Faktoren ab. Ein gewisses Mitteilungsbedürfnis haben wir doch alle, nicht wahr? Vertraue ich jemandem, erzähle ich mehr über mich. Ich denke, Menschen, die künstlerisch/kreativ tätig sind, lassen andere näher an sich heran, denn in ihren Werken zeigen sie ihre Seele und damit ein kleines Stück ihrer Biographie. Fällt es in der Malerei mehr auf oder in der Bildhauerei? In der Musik oder in der Literatur? Für mich und meine Sprachverliebtheit sind es die Worte. Wenn ich selber an einem Text arbeite, frage ich mich auch oft: „Ist das jetzt zu persönlich?“ „Lässt das zu sehr auf meinen Gemütszustand schließen?“ „Will ich das jetzt mit mir in Verbindung bringen?“ Doch ohne Authentizität lebt kein Text, kein Musikstück, kein Bild.

Anstöße, die eigene Biographie gerne zu teilen, gibt es viele. Erfreuliche Erlebnisse, überwundene Hindernisse, besondere Erfolge, aber auch die (Sehn-)Sucht nach Anerkennung. Die sozialen Medien erleichtern es ungemein, sich – zumindest für eine kurze Zeit – in den Mittelpunkt zu stellen und das Selbstwertgefühl aufzupolieren. Bedenklich? Nur dann, wenn der Drang zur Selbstdarstellung überhand nimmt.

Um auf die oben gestellte Frage zu antworten: Passiert ist die Einladung zu diesem Interview. Die Fragen, die Du, Claudia, mir stellst, „zwingen“ mich, in die Tiefe zu gehen, mich mit mir auseinanderzusetzen und Antworten niederzuschreiben. Einige Momentaufnahmen meiner Biographie zu teilen. Obwohl mir bewusst ist, dass Dein Blog öffentlich ist. Kann schon sein, dass ich mir später denke: „Ui, das war jetzt doch sehr persönlich.“

VOLL50: Warum kann Beobachten manchmal befreiender sein als Eingreifen?

Gudrun Winklhofer: Beobachte ich, bin ich aufmerksam. Ich fokussiere mich auf das Geschehen, aber ich bleibe passiv. Beobachten kann ich auch im Stillen, unbemerkt. Ich ziehe das, was ich sehe, in mich hinein, sauge die Eindrücke auf. Eingreifen resultiert aus einer Emotion – Freude, aber auch Ärger oder Wut. Greife ich in das Geschehen ein, werde ich aktiv, bin voll da, gehe aus mir heraus und zeige Präsenz. Dazu braucht es manchmal Mut.

Ich beobachte gerne. Alles um mich herum. Menschen, in deren Gesichtern sich Freude zeigt. Innige Begrüßungen am Flughafen. Das rasch wechselnde Farbenspiel des Morgen- oder Abendrots. Bäume, deren Blätter vom Wind sanft bewegt werden. Schlafende Hunde oder Katzen; so beruhigend. Die Vögel am Vogelhaus und die Libellen über dem Teich. Die Stockente, die sich das Hochbeet für ihr Gelege ausgesucht hat und zwischen Mangold, Rucola und Schnittlauch brütet. Die Spatzen, die in der Erde ihr Staubbad nehmen. Hummeln und Bienen, die von Blüte zu Blüte fliegen. Am Himmel ziehende Wolken. Züngelnde Flammen im Kamin. Wellen, die die Wasseroberfläche kräuseln. Die Weite des Meeres. Beim Beobachten – gerade in der Natur – kann ich die Gedanken ziehen lassen und Kraft tanken. Beobachten befreit. Die Freigeistin in mir mag das. Ich bin die Beobachterin, die viele Dinge wahrnimmt, die anderen verborgen bleiben. Das heißt aber nicht, dass ich nicht eingreife, wenn eine Situation es erfordert.

VOLL50: Auf welche Sprache sollte frau mit voll50 zurückgreifen, wenn sie mit ihrem Latein am Ende ist?

Gudrun Winklhofer: Na, dann greife ich auf Deutsch, Englisch oder Spanisch zurück … Scherz beiseite, das ist wieder so eine vielschichtige Frage.

Frau kann über sich selbst lachen und damit jede Situation entspannen. Sie kann ihrem Gegenüber ein entwaffnendes Lächeln oder eine Umarmung schenken. Frau kann aber auch einmal verbal auf den Tisch hauen und ihre Gefühle zeigen. Jedenfalls sollte sie authentisch sein und sich weder verstellen noch verbiegen. Manchmal bin ich auch mit meinem Latein am Ende. Wenn in einem Gespräch meine Argumente konsequent ignoriert oder nicht akzeptiert werden. Wenn ich einfach niedergeredet werde. Wenn mich jemand um Rat fragt und gar nicht bereit ist, diesen anzunehmen. Wenn ich zwischen zwei Personen vermitteln oder mich gar auf die eine oder die andere Seite stellen soll. Wenn ich mir eingestehen muss, einen kompletten Blödsinn gemacht zu haben. Ich ziehe mich erst einmal zurück, um die für mich unangenehme Situation zu verlassen. Denke nach über Gesagtes und nicht Gesagtes. Schreiben hilft dabei, die verknoteten Gedanken zu entwirren. Wenn Du mich also fragst, auf welche Sprache frau zurückgreifen soll, ist es für mich die Schriftsprache, die mich wieder auf den Weg bringt.

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