Ein respektables Weib

Elfriede Grömer ist nicht nur bei Schönwetter loyal und immer dann charismatisch, wenn sie Menschen erreichen kann. Und sie ist dankbar für jede Enttäuschung, die ihr widerfährt.

VOLL50: Wann gehst Du die Dinge langsam an?

Elfriede Grömer: Es kommt darauf an, ob ich mit ganzem Herzen bei der Sache bin oder ob es sich um profane Dinge des Alltags handelt. Letztere schiebe ich gerne ein wenig vor mich hin. Solange ich mich kenne, habe ich Herzensangelegenheiten ohne Umschweife oder langes Überlegen angepackt. Dazu gehört absolut und in erster Linie die Musik und derzeit mein Naturstammhaus-Projekt. Das hat sich mit Voll Fünfzig nicht verändert, ist eher noch dringlicher geworden, weil mir meine Endlichkeit immer mehr bewusst wird. Behördenkram würde ich manchmal gerne auf den St.Nimmerleinstag verlegen, wenn es nur ginge. Wenn es sich jetzt um Zwischenmenschliches handelt, überlege ich genau, wie viel Nähe ich zulassen will und halte mich sehr zurück. Da kann schon einmal ein halbes Jahr vergehen, ohne dass ich Kontakt suche. Damit stoße ich sicher öfters jemanden vor den Kopf, aber das liegt daran, dass ich mit Hals-über-Kopf-Beziehungen sehr schlechte Erfahrungen gemacht habe.

VOLL50: Wie gestaltet man mit Voll Fünfzig am Besten die Zukunft?

Elfriede Grömer: Nichts aufschieben, was Freude macht! Sich ein gewisses Phlegma aneignen! He, du hast es geschafft, so halbwegs gesund und fit den finalen Lebensabschnitt zu erreichen. Die Aufreger von Gestern sind Schnee von Gestern. Das scheint zwar sehr egoistisch zu sein, aber verdammt! Wer hat uns das Recht auf gesunden Egoismus abgesprochen? Muss Frau, sobald sie des Alltagstrotts und der Dreifachbelastung ledig ist, sich sofort in die nächste Dreifachbelastung stürzen? Wer oder was befiehlt uns, dass wir ab dem Rentenalter die Uralten, Säuglinge und Kleinkinder und diverse einsame NachbarInnen zu betreuen haben? Das heißt nicht, dass ich es gerne von Zeit zu Zeit und in dringenden Fällen mache, aber nicht als Vollzeitpflegekraft ohne Entlohnung. Wann fände ich dann die Zeit für meine Musik, den Spanischkurs, die Walkingrunden mit der Freundin, für das Malen und Schreiben und fürs Sechseck-Rundstammhäuschen mit Autarkiekonzept? All die Dinge, die wirklich lange in mir schlummern mussten und jetzt mit aller Kraft heraus brechen.

VOLL50: Wie viel Hoffnung steckt in Enttäuschung?

Elfriede Grömer: Das Wort ‚Enttäuschung‘ birgt in sich schon Magie. Es hebt den Schleier der Selbsttäuschung, und das ist heilsam. All die Enttäuschungen meines Lebens haben mich vieles gelehrt. Erstens bewusster hinzusehen bei allzu freundlichen Personen. Zweitens nicht gleich alles zu glauben und bei Zweifeln nachzubohren und zu hinterfragen. Im Grunde passieren mir Enttäuschungen, wenn ich Erwartungen habe, die relativ unrealistisch sind. Ich danke dem Leben für jede Enttäuschung, sie haben mich zu dem respektablen Weib gemacht, das ich jetzt bin.

VOLL50: Hat Frau mit Voll Fünfzig gelernt, ihr Charisma einzuschätzen?

Elfriede Grömer: Sobald ich authentisch bin, spüre ich, dass ich Menschen erreichen kann. Zum Beispiel als eine Hälfte des Duos Hollapercht, das ich mit meiner Schwester Christiane gegründet habe. Dank der Gabe, mich selbst nicht tierisch ernst zu nehmen, gelingt es mir ganz gut, mit meinem Charisma umzugehen und es bei Auftritten bewusst einzusetzen. Es war zwar ein langer Prozess, denn als junge Frau habe ich meinem Charisma nicht vertraut, mich im Gegenteil immer gewundert, weshalb ich manchmal plötzlich Mittelpunkt war. Dabei machte ich die Entdeckung, dass ich in diesen Situationen völlig losgelöst, unbeschwert und charmant war, sozusagen die Sau heraus gelassen habe. Ich darf nur den Zeitpunkt nicht übersehen, wenn ich in Schwung bin, mich wieder zurückzunehmen. Denn wie bei allen Dingen, ist allzu viel eher ungesund.

VOLL50: Wann wird Loyalität zum Kampf?

Elfriede Grömer: Wenn der geliebte Mensch, hinter dem ich immer voll und ganz gestanden bin, den ich gegen Anfeindungen verteidigt und bei allem unterstützt habe, sich plötzlich total von mir lossagt. Es erfordert schon eine Eselsgeduld, weiterhin loyal zu bleiben und nicht an dem zu zweifeln, was uns bisher verbunden hat. Ab und zu kommt mir zu Ohren, dass genau dieser Mensch in der Öffentlichkeit schlecht über mich spricht, aber auch da bin ich eher jemand, der erst selbst nachfragt, was dahinter steckt, bevor ich Gerüchten glaube. Die letzte Option ist, sich von der Person loszusagen, und einige Male hab ich schon ewig lange zugesehen, bis ich diesen endgültigen Schritt gewagt habe. Doch dann ist es wirklich endgültig! Schwierig sind auch die Situationen, wenn sich alle Welt gegen jemanden verschworen hat, den ich sehr mag, schlimme Dinge von der Person behauptet werden und ich scheinbar die Einzige bin, die noch zu ihr hält. Dann: siehe Strategie Nummer Eins. Nachfragen, was davon wahr ist. Wenn es um Familie geht, ist Loyalität sowieso eine Frage der tiefen Verbundenheit und obligat. Außer es ist Gewalt im Spiel oder krankhaftes Suchtverhalten, bei dem man die geliebte Person wirklich fallen lassen muss, um ihr die Chance auf Rettung nicht zu verbauen. Das ist mir zum Glück in meinem Leben erspart geblieben und darum stand meine Loyalität noch nie auf dem härtesten Prüfstand.

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