„Gleichheit ist richtig – aber auch nicht“

Empfindsam ist nicht gleich empfindlich, und Parteilichkeit lohnt sich – vor allem mit voll50, sagt Angelika Gassner.

VOLL50: Ist Gleichheit richtig?

ANGELIKA GASSNER: Liberté, egalité, fraternité ist das Erste, was mir zu Gleichheit einfällt. Oder die Verzerrung dessen in Animal Farm: „All animals are equal, but some animals are more equal than others.“ Der nächste Gedanke, der auftaucht, ist die fehlende Gleichheit der Frau zum Beispiel in der katholischen Kirche – seit Jahrtausenden. Und wenn ich noch präziser nachdenke, dann bin ich mir nicht mehr sicher, ob Gleichheit das ist, was ich richtig finde. Eine andere Nuance wäre mir lieber: Gleich-Würdig-keit (eine Neukomposition, die es so nicht gibt). Wir sind alle mit einer unauslöschlichen Würde, einer „göttlichen“ Würde ausgestattet, die uns niemand nehmen können sollte – auch wenn es immer wieder geschieht, dass auf ihr herumgetrampelt wird. Meine Würde grenzt an deine Würde – darin sind wir „gleich“. Aber sonst bin ich gleich viel wert, aber doch nicht gleich wie du, wie Sie. Ich bin eben ein Individuum, ein Unikat – ich möchte nicht unbedingt gleich behandelt werden, wie jede und jeder andere, aber mit Würde, Respekt, Liebe, jedoch so, dass ich es als an mich angepasst empfinde, eben achtsam und persönlich, individuell. Ist Gleichheit richtig – ja schon, aber eben auch nicht. Kommt darauf an, ob ich dahinter noch als die (Einmalige) gesehen werde, die ich bin – trotz gleicher Würde.

VOLL50: Zu welcher Art von Verschiedenheit sollte man mit voll50 stehen können?

ANGELIKA GASSNER: Ich entspreche nicht den gängigen Idealen (von Größe, Gewicht, Haarfarbe, Lebensstil, Einstellung, Spiritualität …), die so gern in den Medien vertrieben werden, die der Tradition oder der Moderne entsprechen. Aber ich stehe zu meiner Art zu lachen, zu leben, zu arbeiten, Muße zu tun, zu glauben. Ich stehe zur Verschiedenheit, die mich ausmacht, die mich einzig macht, die mir entspricht, die authentisch ist. Nicht immer und nicht durchgehend, aber immer mehr und immer tiefer.

VOLL50: Worin liegt für Dich der Unterschied zwischen empfindsam und empfindlich?

ANGELIKA GASSNER: Wenn ich empfindlich bin oder du empfindlich bist, dann können Missverständnisse schnell zu Konflikten, Streit oder Kommunikations-Pause oder -Ende führen. Ich könnte Trotz, Ärger, Unverständnis, Schweigen erleben, wenn mein Gegenüber (zu) empfindlich auf etwas reagiert. Rückzug oder (positive wie negative) Auseinandersetzung könnten die Folge sein. Wenn ich empfindsam bin, dann wähle ich meine Worte mit dem Herzen, aus der Verbundenheit mit dir. Dann bin ich achtsam präsent und reagiere entsprechend sensibel. Ich höre Nuancen, ich sehe Tiefe, ich spüre Schwingungen und achte sie. Wenn du empfindsam bist, dann ist der Weg zu mir kürzer, sanfter, verständnisvoller, intensiver, lebendiger.

VOLL50: Welche Bewegung sollte mit voll50 auf keinen Fall weh tun?

ANGELIKA GASSNER: Die innere, die seelische Bewegung beziehungsweise Beweglichkeit sollte auf keinen Fall weh tun – zu keiner Zeit, aber besonders ab der Lebensmitte mit neuem Elan. Denn jetzt verändern sich die Themen nochmals, weg vom Fundament und Aufbau, hin zum Wesentlichen, der Mitte-Erfahrung und dann auch hin zu den letzten Dingen. Und dabei gilt es die gewonnenen Erfahrungen dankbar zu vermehren: indem sie sortiert, gewürdigt und liebevoll eingesetzt werden. Denn aus diesem Erfahrungsschatz setzt sich, wenn ich ihn auch wirklich als solchen wahrnehme, meine Lebensspur zusammen – ebenso meine Ausstrahlung, mein So-Sein und mein Profil. Die Bewegung des Herzens ist natürlich der der Seele verwandt. Sie gewinnt, wenn ich weiß, was mich nährt und beweglich hält. Herzgymnastik? Mein Herz weiten, stärken, nähren und dadurch an Fülle und Qualität gewinnen – wenn ich es immer wieder verschenke, kehrt es immer wieder bewegt zurück.

VOLL50: Wo leistest du dir Parteilichkeit?

ANGELIKA GASSNER: Partizipieren, teilhaben, Anteil nehmen, ein Teil sein von … Die Fülle des Lebens ist mir wichtig, die Auferstehungsqualität, die Lebensfreude und die Intensität des Seins und Tuns, die liebevolle Zuwendung … Eine offene, befreiende, inspirierende, heilsame Spiritualität lohnt sich immer, um das Leben dankbar zu feiern, zu genießen. Der Mensch kann so viel Gutes bewirken, wenn er achtsam, einfühlsam, empfindsam, sozial verbunden, dankbar und würdig lebt und leben lässt. Es täglich versuchen, an der Schönheit und Würde der Natur, des Menschen, des Göttlichen in mir teilzuhaben und es mit vielen zu teilen, dafür lohnt sich Parteilichkeit.

Foto: Robert Maybach©

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