Wer sich frei von Prägungen macht, wird mit einer Kaskade von neuen Möglichkeiten belohnt, sagt Marion Falzeder. Ihr jüngstes Abenteuer: das Enkerl.
VOLL50: Wann führt Disziplin automatisch zu Konzentration?
Marion Falzeder: Hm, jetzt sollte ich wohl antworten, dass ich mit 50 natürlich immer diszipliniert bin und über die Jahre gelernt habe, dass Disziplin in manchen Bereichen hilfreich ist. Aber leider bin ich nach 53 Lebensjahren manchmal immer noch bequem, unordentlich oder zu faul, zum Beispiel diszipliniert meinen Kleiderschrank in Ordnung zu halten. Wie das andere schaffen, weiß ich nicht, aber sobald ich ein T-Shirt rausziehe, sind sämtliche andere krumm und schief. Bei meiner Mutter ist immer alles perfekt wie mit dem Lineal gezogen, aber bei mir funktioniert das nicht. Erst wenn ich wirklich etwas fertigbringen muss, ein Termin ansteht oder ein Vortrag zum Abgeben ist, dann werde ich diszipliniert und hochkonzentriert. Ein gewisser Druck muss bei mir vorhanden sein, dann klappt es auch mit beiden 😉. Wie oft ich mir das in meinem Leben schon vorgenommen habe, früher anzufangen, damit ich keinen Stress zum Schluss habe – ich bin in dieser Sache lernresistent. Auch aus der Schulzeit kenne ich das noch sehr gut, am Tag vor der Schularbeit, war ich am konzentriertesten und sehr diszipliniert. Während der Studienzeit war meine Wohnung nie sauberer als vor einer Prüfung … das war mir der Haushalt sogar lieber, als zu lernen. Wenn ich viel zu tun habe und alles fertig werden muss, dann ist meine innere Uhr automatisch auf Frühaufstehen programmiert, und ich bin täglich um spätestens 5.00 Uhr munter. Ich bin ein Morgenmensch und um diese Zeit geht es dann auch am besten mit der Konzentration. Aber wie gesagt, ein bisserl Druck ist nötig.
VOLL50: Wovon sollte frau mit „voll50“ auf keinen Fall abhängig sein?
Marion Falzeder: Für mich war immer klar: Ich möchte nie von einem Mann abhängig sein und mein eigenes Geld verdienen. Viele Jahre am AMS und dann später in der Abteilung für Frauenförderung an der JKU haben das verstärkt. In einer Beziehung ausharren zu müssen, weil es sich finanziell nicht ausgeht, sich zu trennen, möchte ich mir als freiheitsliebenden Menschen nicht vorstellen. Ich hatte das Glück, dass mein Mann meine Lebenspläne immer mitgetragen hat und mich selbstverständlich in der Verwirklichung meiner Wünsche unterstützt hat. Ich habe neben den Kindern zu studieren begonnen, meinen Beamtenjob zu Gunsten einer Veränderung an der Universität Linz aufgegeben und dann nochmals den Sprung in das Ungewisse gewagt, um nur mehr meine Schwimmschule zu managen. Danach folgten noch Ausbildungen in Cranio-Sakraler-Körperarbeit und einer speziellen – auch körperorientierten – Methode zur Bewältigung von Traumata (Somatic Experiencing). Lange war ich in dem Korsett meiner Erziehung verhaftet, dass man einen Beamtenjob nicht aufgeben kann, und ich traute mich nicht, nur daran zu denken, dass mich diese Arbeit nicht mehr glücklich macht. Als ich es endlich gewagt habe, dort zu kündigen, war es eine so große Befreiung, die eine Kaskade an neuen Möglichkeiten losgetreten hat. Ich möchte allen Mut machen, sich nicht abhängig zu machen von Meinungen anderer, von Wertvorstellungen der Familie, sondern auf sein Herz und Bauchgefühl zu hören, was einem gut tut.
Die beiden Ausbildungen zur Körperarbeit haben mir viel geholfen, besser wahrnehmen zu können, wo meine Grenzen sind und was ich verändern muss, um mich wohler zu fühlen. Wenn sich Gelegenheiten bieten im Leben, wo es einen richtig hin sehnt, wo das Herz aufgeht und das Baucherl warm wird, wenn man daran denkt, dann ist es wert, dort näher hinzusehen. Meine Gelegenheitsfenster haben sich weit geöffnet, immer wieder, bis ich mutig genug war, sie wahrzunehmen, und ich bin heute sehr froh darüber, dass ich mich von den Idealen meiner Eltern frei machen konnte.
Ich bin glücklich, meine Talente in den Schwimmkursen mit Babys und Kindern einbringen zu dürfen. Meine Ausbildungen helfen mir, unterstützend in der Bewältigung von Wasserangst zu sein oder Babys einen bessern Start ins Leben zu ermöglichen, wenn Schwangerschaft und Geburt ein traumatisches Erlebnis waren. Das ist sehr erfüllend für mich. Ich kann mir meine Zeit nahezu frei einteilen und bin auch hier weniger abhängig von strikten Zeitkorsetten, was meinem persönlichen Zeitmanagement gut tut. Mit voll50 merke ich nämlich immer mehr, dass ich nicht mehr so schnell bin wie früher, aber auch nicht mehr so schnell sein mag wie früher.
VOLL50: Wofür gibt es Langeweile?
Marion Falzeder: Was ist Langeweile? Schon als Kind war ich eine Leseratte und rundum glücklich, wenn ich in einer Ecke sitzen konnte, um zu lesen. Auch heute ist mein Alltag so ausgefüllt, dass ich Langeweile nicht kenne. Im Gegenteil, ich muss mir Zeitinseln schaffen, damit ich mir auch eine „lange Weile“ an Nichtstun gönne. Diese Zeit brauche ich, um mein Inneres hören zu können. Im Alltag überhöre ich da viel und nehme mir nicht die Zeit, richtig hinzuspüren. Der Körper braucht aber diese Muße-Minuten, um erzählen zu können, was ihn bewegt. Er muss seine Geschichte erzählen dürfen, damit er Stress loswerden kann oder sich negative Erlebnisse auflösen dürfen. Alles, was uns zu schnell, zu intensiv oder zu heftig passiert, wird mit dem Verstand kaum verarbeitet, aber im Körpergedächtnis abgespeichert. Wenn das nicht beachtet wird, können sich verschiedene Symptome entwickeln, körperliche und psychische Probleme können die Folge sein. In der Cranio-Sakralen Körperarbeit und im Somatic Experiencing lehren wir die Menschen, wie wichtig es ist, hinzuhören in den Körper, seinen Geschichten zu lauschen, seiner Ausdrucksmöglichkeit Raum zu geben. Wenn einem langweilig ist, wäre das eine gute Möglichkeit, sich dafür Zeit zu nehmen, um sich was Gutes zu tun. Man glaubt gar nicht, was einem da alles erzählt wird 😉.
VOLL50: Welches Buch sollte man mit „voll50“ unbedingt gelesen haben?
Marion Falzeder: Als Vielleserin gibt es für mich unzählige Bücher, die es wert sind, gelesen zu werden. Es ist aber sehr subjektiv, was gefällt und was nicht. Während ich Krimis liebe (sie dürfen ruhig auch etwas blutrünstig sein 😉), mag das meine Freundin gar nicht. Unbedingt lesenswert ist auf jeden Fall Peter Levines „Sprache ohne Worte“, das mir viele AHA-Erlebnisse und wertvolle Erkenntnisse während meiner Trauma-Ausbildung beschert hat. Sehr inspirierend empfand ich „Briefträgerkind“ von Oskar Kern. Als Manager hat er in diesem Buch seine Lebensweisheiten sehr unterhaltsam zusammengefasst, die er von seinen Eltern gelernt hat. Diese waren Landbriefträger in einer kleinen Gemeinde im Mühlviertel, und deren Erlebnisse haben mich sehr daran erinnert, was auch ich von meinen Großeltern lernen durfte. Ein sehr kurzweilig geschriebenes aber lehrreiches Buch, durch die kurzen Kapitel eine perfekte Bettlektüre.
VOLL50: Wie lange ist dein letztes Abenteuer her?
Marion Falzeder: Mein Mann und ich sind sehr gerne unterwegs, seit einem halben Jahr mit einem alten Wohnmobil. Da wird jede Reise ein kleines Abenteuer, denn irgendwas ist immer, wenn man abseits vom Trubel unterwegs ist. Ein richtig „großes“ Abenteuer haben wir mit den Kindern erlebt, die heute noch davon reden, obwohl es circa zwölf Jahre her ist. Statt Campingurlaub haben wir uns einmal einen All-inklusive-Club in Hurghada (Ägypten) geleistet. Unsere Jungs wollten aber unbedingt die Pyramiden sehen, daher buchten wir eine Fahrt dorthin. Wir wurden um 22.00 Uhr in einem alten klapprigen Bus mit vielen anderen eingesammelt, die ganze Nacht bis nach Kairo gefahren, dort noch in diverse Verkaufsgeschäfte geschleppt, bis wir endlich bei den Pyramiden ankamen. Retour war es wieder ähnlich 😉. Kommen wir jemals an? Hält der Bus das aus? Wird es irgendwo mal eine Toilette geben? Aber wir haben es überstanden, und für die Kinder war es ein richtiges Abenteuer. Die Pyramiden natürlich beeindruckend, wenngleich sie mittlerweile quasi mitten in der Stadt sind und die Verkäufer von Ramsch unglaublich lästig dort sind.
Für mich ganz speziell war die Fahrt vor circa 20 Jahren durch Albanien. Eine Zeitreise zurück in meine Kindheit mit schlechten Straßen, ganzen Familien samt Baby auf dem Moped fahrend und keine Kreditkartenmöglichkeiten. Sehr aufregend, spannend und interessant, da quasi noch kein Tourismus dort war und alles sehr ursprünglich ausgesehen hat! Das neueste Abenteuer, das am 4. Juni gestartet hat, ist die Zukunft als Oma. Durch meine Schwimmschule bin ich die Arbeit mit Kindern gewöhnt, und ich habe auch sehr viel Kontakt zu FreundInnen mit kleinen Kindern. Trotzdem ist das wieder ein neuer Schritt, der aufregend und berührend zugleich ist. Ich freue mich sehr auf diese Zeit und hoffe, eine Oma zu werden, zu der meine Enkelkinder gerne kommen werden.
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