„ Als liebender und reflektierter Mensch wirklich sehr gut gelungen“

©Michael Hartl – design foto film

Lebensprüfungen sind für Claudia Kanz ein Auftrag zur eigenen Weiterentwicklung. Und sie tragen dazu bei, neue Wege zu finden und sich selbst zu lieben.

VOLL50: Welchen Stellenwert haben Prüfungen mit voll50?

Claudia Kanz: Prüfungen gibt es ein ganzes Leben lang. Du lernst ja auch ein Leben lang. Das macht es für mich aber auch interessant. Manche Prüfungen suchst du dir aktiv aus, weil du etwas Neues lernen und beweisen willst, dass du es kannst. Und andere Prüfungen stellen sich dir direkt im Leben breitbeinig in den Weg. High noon!

Wir alle sind Beziehungsmenschen, und wenn es gerade auf dieser Ebene knatscht, ist es immer auch eine Prüfung, finde ich. Man lernt viel über sich selbst in der Krise und genauso im Konflikt, und ich sehe Schwierigkeiten, oder das Erlernen neuer Inhalte, Fähigkeiten, Verhaltensweisen immer auch als Lernprozess für mich selbst. Ich schaue mir selbst zu und bewerte und passe meine Strategie an. Manche nennen das reflektiert sein. Aber es ist mehr als das. Für mich bedeutet es, sich selbst auch immer wieder ein anderes Verhalten zu erlauben. Denn das alte Verhalten in die Zukunft zu kopieren, funktioniert nicht wirklich. Wir bleiben ja auch nicht ganz dieselben, wenn wir uns mit den Jahren weiterentwickeln.

Ich mag keinen Stillstand und glaube daran, dass wir uns bis zum Ende – sprich Tod – entfalten dürfen. Müssen wir ja auch, weil sich unser Lebensumfeld auch ständig verändert. Wir sind, nur weil wir 50+ sind, nicht mit allem fertig und können uns zurücklehnen. Da passiert noch viel. Hoffe ich. Anders, aber trotzdem gut. Vielleicht sind manche von uns nicht mehr so schnell bereit, etwas Neues zu lernen, aber für mich sind solche Lebensprüfungen – wie Beziehungen, Trennungen, berufliche Herausforderungen, Umzüge oder die Erderwärmung, der Rechtsruck oder einfach das Loslassen von alten persönlichen Glaubenssätzen – ein guter Spiegel und auch immer Auftrag für meine eigene Weiterentwicklung.

VOLL50: Worauf bist du nicht mehr neugierig?

Claudia Kanz: Ich bin von Natur aus sehr neugierig und spontan. Wenn etwas Neues meinen Weg kreuzt, will ich es auch ausprobieren und so verstehen lernen. Aber es gibt schon ein paar Situationen, die aufgrund meines feministischen Mindsets für mich absolut keinerlei Charme haben. Ich bin echt nicht neugierig auf aggressive Machtkämpfer ohne echtes Standing – das Maskulinum ist hier ganz bewusst gewählt. Meine Geduld mit Mansplainern (*) und den in den sprichwörtlichen 60er Jahren feststeckenden Chauvis ist nicht vorhanden. Ich werde nie den Moment vergessen, als ein Mann mich vor versammelter Mannschaft bedroht und angeschrien hat, jetzt sofort den Mund zu halten und mir zu überlegen, was ich jetzt sage, sonst… Und ich habe ihm lächelnd geantwortet, ich sei bereits zu alt und abgebrüht, dass mir schreiende Männer imponieren würden. Im Gegenteil, denn das sei viel zu flach und er solle die Tür ganz leise hinter sich schließen, wenn er jetzt geht. Und er ging. Ich finde so ein sexistisches Verhalten macht Männer nicht gerade attraktiver, oder was sagt ihr? Sagt denen das keiner?

Es gibt eine ganze Liste an kleineren Dingen/Tätigkeiten, die ich heute nicht mehr brauche. Ich bin nicht mehr neugierig darauf, mich so zu verhalten, wie es Andere von mir erwarten. Mir reichen meine eigenen Erwartungen an mich selbst, die ich auch nicht immer erfülle, und ich bin mir sehr oft eine härtere Gegnerin als jeder andere Mensch. Ich bin nicht mehr neugierig auf lange Nächte in Bars. Ich gehe einfach unterm Radar vor Mitternacht nachhause, weil ich einfach weiß, dass nichts Außergewöhnliches mehr passieren wird. Ich bin nicht neugierig auf veraltete Moralvorstellungen oder Tabus, die schon lange keine mehr sind oder sein sollten. Ich bin nicht mehr neugierig darauf, jede Mode mitzumachen. Ich weiß heute ganz genau, was mir steht. Ich habe bewusst keinen Fernseher und kein Auto mehr und beides geht mir nicht ab. Ich gebe FreundInnen kein Lipservice mehr (=genau das sagen, was der andere gerne hören will). Wenn ich um eine Meinung geben werde, sage ich, was ich mir dazu denke, auch wenn es weh tun kann. Ich erwarte mir von meinen Menschen das Gleiche, weil es mich weiterbringt als nette Worte.

Aber ich bin neugierig, ob diese zugegeben sehr rudimentäre Liste in den nächsten Jahren noch viel länger wird, oder ob ich etwas davon – aus mir heute noch undenkbaren Gründen – wieder ganz anders sehe. Nichts bleibt ewig gleich, das ist die einzige Konstante. 😉

VOLL50: Welche Entscheidung sollte man mit voll50 immer wieder treffen?

Claudia Kanz: Da schreit mein Herz sofort: Für die Liebe! Aber mit meinen 51 Jahren geht es nicht mehr nur um die körperliche oder romantische Liebe. Es geht um jede Art von Liebe. Um Freundschaft, Familie, Liebschaften, Leidenschaft, aber besonders um die Liebe zu sich selbst.

Die Selbstliebe, warum ist sie mir so wichtig? Ich denke, das hat viel damit zu tun, dass dieses Jahrzehnt zwischen 50 und 60 das freieste im Leben einer Frau ist. Ich empfinde mich immer noch als schön und begehrenswert, auch wenn ich keine fruchtbare Frau mehr bin. Jetzt ist die Zeit, in der ich alles sein kann, alles ausprobieren kann, denn nichts und niemand hält mich davon ab, ganz ich selbst zu sein. So empfinde ich das gerade. Die Kinder sind erwachsen und in meinem Fall ist der Ehemann bereits Geschichte. Ich bin nach über 20 Jahren wieder Single. Ja, so ein kompletter Neuanfang ist kein Zuckerschlecken. Weder emotional noch wirtschaftlich, aber ich würde die Entscheidung immer wieder treffen. Weil es eine Entscheidung für mich war. Alle Beziehungen haben ihre Zeit und ihren Sinn, aber man sollte sich nicht scheuen, sie zu beenden, wenn sie einen nicht mehr glücklich machen.

Ich gestalte mein Leben als Singlefrau jetzt gerade wieder ganz neu und dieses Mal wirklich ganz alleine. Ich lebte das letzte Jahr in einer 2 Frauen, 3 Kinder WG nach der Trennung vom Mann. Ich konnte mir aus meiner Persönlichkeitsstruktur heraus gar nicht vorstellen, alleine zu leben. Jetzt ist es anders. Ich bin bereit, wieder einen nächsten Schritt zu tun und suche gerade eine 3-Zimmer-Wohnung für meine Tochter (lebt an ungeraden Monaten bei mir) und mich. Diese Freiheit und Unabhängigkeit sehne ich schon sehr herbei und nenne das jetzt schon meine kompromissfreie Zone. Ich allein bin die Macherin meiner Zukunft. Endlich fokussierst du dich wieder viel mehr auf dich selbst. Du machst nicht mehr alles aus falsch verstandener Zuwendung mit und du hast gelernt „Nein!“ zu sagen, ohne die Angst, dann nicht mehr geliebt zu werden. Ich kann mit Fug und Recht behaupten ich liebe mich, wie ich bin. Mit allen Ecken und Kanten, Falten und Hügeln, Spinnereien und Spleens, Stärken und Schwächen. Selbstliebe heißt für mich, nicht mehr in ein Schema reinpassen zu müssen/wollen. Das ist für mich gel(i)ebte Freiheit.

VOLL50: Wo hört sich Zweisamkeit um jeden Preis auf?

Claudia Kanz: An der Toilettentür! :))) Um die seriösere Kurve zu kriegen, schließe ich hier aber lieber gleich direkt an mein Plädoyer für die Selbstliebe an. Ich würde es heute nicht mehr aushalten, wenn ein Partner mir seine ungelösten persönlichen Kamellen umhängt oder sogar von mir fordert, mich so zu verhalten, dass er, ohne sie zu bearbeiten, fein mit ihnen leben oder sie ignorieren kann. Ich muss mich um meine Interieurs ja auch selbst kümmern. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, wie belastend so ein bedürftiges Verhalten in Beziehungen ist. Ich bin bezüglich Übergriffe heute viel sensibler. Das heißt nicht, dass ich meinen Partner nicht unterstütze. Im Gegenteil. Das tue ich gern, solange er dabei Verantwortung für sich selbst übernimmt. Ja, und das gibt auch Diskussionen.

Ich möchte euch aber nicht nur erzählen, wo es für mich aufhört, sondern auch ein konkretes Bild malen, wo es für mich anfängt. Träumen kann man ja, oder? Und ich träume immer lieber vom Anfang als vom Ende. Ich habe im Netz eine kleine Allegorie zur reifen Liebe gefunden und sie für mich in meiner Tonart erweitert und transponiert:

Es ist ein schöner, warmer Sommertag. Auf einer grünen, saftigen Wiese steht auf einer sanften Anhöhe ein dichter Lindenbaum. Es summt, Grillen zirpen und Vögel zwitschern. Der Duft von Heu und Sommer durchdringt die Luft. Sie ist warm und nur eine leichte Brise ist zu spüren. (Fühlt ihr es?) Oben in der Baumkrone sitzen zwei Vögelchen und zwitschern und schnäbeln aufgeregt und liebevoll miteinander. Über ihnen ist der blaue weite Sommerhimmel. Beide wissen, sie könnten jederzeit wegfliegen, aber sie tun es nicht, weil es genau hier, genau jetzt miteinander so wunderbar ist!

OMG! Vielleicht bin ich doch romantischer veranlagt als ich dachte. Muss wohl wieder einen meiner Glaubenssätze abändern. 😉

VOLL50: Wofür sollte man sich mit voll50 unbedingt und häufig loben?

Claudia Kanz: Für die tausend Sachen, die man kann, macht, erlernt, verstanden und bewältigt hat. Man sollte sich für die eigenen Fähigkeiten unbedingt loben, denn wir Frauen sind schon immer gerne unsere größten Kritikerinnen gewesen. Dass wir uns oft nicht trauen, uns selbst großartig zu finden, schwächt uns in dieser von Männern dominierten Welt enorm. Und da tut es gut, sich morgens schon mal zu sagen, dass man als liebender und reflektierter Mensch wirklich sehr gut gelungen ist.

Ich habe aber auch eine sehr persönliche Zäsur erlebt, für deren gute Verarbeitung ich mich viel mehr loben sollte. Mir war nicht von Anfang an klar, dass meine Gehirnblutung 2016 das einschneidendste Erlebnis meines bisherigen Lebens sein würde und gleichzeitig das bisher am besten verarbeitete. Manchmal muss ich mich daran erinnern, wie ich mich von fünf Tagen im Koma und rechtsseitiger Lähmung binnen weniger Wochen wieder erholte. Meine Gehirnleistung war dank meinem Ehrgeiz beim Training nach kurzer Zeit in der Reha schon wieder fast normal. Ich verstand aber zu dem Zeitpunkt noch gar nicht, wie außergewöhnlich das war. Ich hatte damit zu kämpfen, dass ich zwar sehr schnell wieder zu 95 Prozent hergestellt war, aber extrem darunter litt, dass danach nicht mehr viel weiterging und mir die fehlenden 5 Prozent an Spritzigkeit sehr abgingen. Für mich war es wie ein Identitätsverlust. Ich war immer schnell beim Denken gewesen, und jetzt war es an manchen Tagen gefühlt nur Schneckentempo. Ich erinnere mich noch genau an den Moment vorm Spiegel im Bad, der mit einer Blitz-Erkenntnis meine Identitätskrise beendete. Ich verstand plötzlich, dass mein Gehirn wirklich ein Wunderding ist und ich die beschädigten Bereiche ganz schnell mittels akribischen Trainings durch neue Synapsen ersetzt hatte. Und da sagte ich ganz laut zu mir: Claudia, denk es einfach neu! Ein Satz kam in meine Gedanken: Deine 95 Prozent sind ab heute einfach deine neuen 100 Prozent. Realistischer Nachsatz: Die paar Prozent hätte ich vermutlich aufgrund meines Alters sowieso bald eingebüßt.

Danach war alles anders. Keine Nabelschau mehr. Nur mehr die 100 Prozent im Kopf und die 5 Prozent waren für mich nie mehr wichtig.

Wann immer ich einen Moment brauche, um mir klar zu machen, dass man alles schaffen kann und sogar einfach dadurch verändern kann, indem man seine eingeübte Denkrichtung einfach ändert, lobe ich mich für diese Eingebung an diesem Junitag vor dem Spiegel. Dass ich mich aktiv aus einer eingefahrenen Denke holen kann, macht mich sehr stolz.

www.nikoshimedia.at

www.wassergeister.com

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(*) mansplaining, erklärt von Claudia Kanz

„Kommt von man + explains = mansplaining

Ein sehr gängiger Begriff in meiner sehr emanzipierten Frauenblase 🙂 Ich krieg so einen Hals )(, wenn einer mir unbedingt in seinen Worten auch noch erklären muss, was ich eh gerade gesagt habe. Oder wenn mir ein Mann erklärt, wie man am besten menstruiert. :/ Mansplainer lassen echt nix aus. Und wenn sie das nicht tun können, dann fallen sie dir ins Wort. Das heißt dann manterrupting. Es ist schwer dafür deutsche Worte zu finden. Erklärknabe? UnterbrechEr?“

Lebenslust vorleben

Zwei Informationen haben mich kürzlich aufhorchen lassen: Ein Viertel der Jugendlichen können nach der 9. Schulstufe nicht sinnerfassen lesen. Und Selbstmord ist die zweithäufigste Todesursache bei Kindern und Jugendlichen. Ein Zusammenhang?

Wandel in der Wildnis

Vor zwei Jahren bin ich an einer Schwelle gestanden, an der ich überlegt habe, ob ich meine wöchentlichen Ergüsse einstellen soll. Ich spürte, dass sich etwas in mir und meinem Leben änderte, ohne festmachen zu können, in welche Richtung es gehen könnte. In dieser Woche wurde ich mit den ersten Auswirkungen konfrontiert.

Schwäche zeigen ist stark

Foto (c) Michael Hartl

Man kann vieles wollen und trotzdem nicht zum Ziel kommen, sagt Michaela Ziegler. Sie wünscht sich eine Gesellschaft, in der Lebensleistungen mindestens den gleichen Stellenwert bekommen wie Arbeitsleistungen.

VOLL50: Wann bist Du in Deinem Element?

Michaela Ziegler: Wahrscheinlich war ich in einem früheren Leben eine Nixe oder wohl eher eine Seekuh. Ich liebe es im Wasser zu sein, am liebsten im Meerwasser. Wenn es wohltemperiert ist, könnte ich Stunden darin verbringen.

Wenn ich in einer Runde mit feinen Mensch bin – egal, ob es sich um eine private Runde oder eine Seminarrunde handelt, in der ich mich wohlfühle. Ich liebe es, über Gott und Göttin zu philosophieren, zu diskutieren, zu blödeln und lachen und zu lernen. Gerade wenn es um Schreiben, Sprache und Wortwitz geht, fühle ich mich in meinem Element.

VOLL50: Womit macht man sich mit voll50 nicht mehr nass?

Michaela Ziegler: Mein erster, zugegeben flapsiger Gedanke beim Lesen dieser Frage war ‚mit Abwaschwasser‘. Doch damit werden meine Hände trotz Geschirrspüler noch öfters in Kontakt kommen.

Ich mag mich nicht mehr nass machen wollen mit Funktionieren im Sinne von mich selbst ausbeuten. Mittlerweile nach vielen Lehrjahren habe ich es geschafft, mich auch mit meinen Schwächen zu zeigen und darüber reden zu können. Ich habe es (meistens) abgehakt, allen beweisen zu wollen, dass ich alles allein schaffen kann. Weil es nicht stimmt. Darum bin ich sehr kritisch, wenn ich höre, dass man alles schaffen kann, wenn man nur will.

Das Leben spielt sich irgendwo zwischen Selbstwirksamkeit und Abhängigkeiten ab. Wir Menschen sind im Grunde soziale Wesen, brauchen einander von der Wiege bis zum Tod. Eine Ziel, das ich erreichen will, bedingt oft ein Gegenüber, für das ich aber nicht bestimmen kann.

Ich finde sehr wohl, dass man selbst das Möglichste tun kann, um die Chance zu erhöhen, etwas zu bekommen oder zu erreichen. Aber zu 100 Prozent geht das nicht. Es gibt Limitierungen, da kann ich hüpfen, springen, mich am Kopf stellen. Ab einem gewissen Punkt liegt die Erreichung eines von mir angepeilten Ziels nicht mehr in meiner Macht.

Mein selbst erlebtes „Paradebeispiel“ ist die Arbeitssuche, gerade für viele Menschen wieder ein aktuelles Thema. Ein Geburtsdatum in den 60er oder 70er Jahren auf Bewerbungsdokumenten ist eine Limitierung. Da musst auch bei guter Ausbildung und Qualifikation extremes Glück haben.

Oder frage Menschen, die gern eine erfüllende Partnerschaft hätten. Oder Menschen, die einen unerfüllbaren Kinderwunsch haben. Alle werden ihr Möglichstes tun, um ihr Ziel zu erreichen. Trotzdem werden es nicht alle schaffen. Will man diesen Menschen sagen, jeder ist seines Glückes Schmied oder man kann alles erreichen, wenn man nur will? Und wenn sie das Gewünschte nicht erreichen, dann sind sie selbst schuld, weil sie sich zu wenig angestrengt oder etwas falsch gemacht haben? Ein zynischer Lebensblick auf das Leben. Das führt zu einer sehr unempathischen, unsolidarischen und leistungsorientierten Gesellschaft mit zu vielen allmachtsfantasierenden Individuen.

Darum finde ich es so wichtig, nicht nur meine Stärken, sondern auch Schwächen zu zeigen, um vielleicht auch andere Menschen damit zu inspirieren. Wenn das Kreise zieht, erhöht sich die Chance, wieder mehr füreinander als gegeneinander da zu sein.Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Lebensleistungen mindestens den selben Wert bekommen wie Arbeitsleistungen. Dann können wir uns alle auf Augenhöhe begegnen. Das brauchen wir dringend.

VOLL50: Was bedeutet für Dich Selbstschutz?

Michaela Ziegler: Die Wahl zu haben, was von mir sichtbar sein darf und was nicht. Ich schreibe selbst einen kleinen Blog, in dem ich mein Leben als Frau von Format thematisiere(n wollte), doch ich merke, dass es mir oft schwer fällt, mich dazu öffentlich/sichtbar zu machen. Dabei ich hätte einiges zu sagen, gerade über die gesellschaftlichen Bilder von dicken Menschen.

Selbstschutz ist für mich, auch mal den Mund zu halten und mir gut zu überlegen, mit wem ich worüber diskutiere und ob es der Situation förderlich ist. Da spare ich mir lieber die Energie und mache selbst das Beste, das mir möglich ist. So jongliere ich gemäß meinem jeweiligen

Gefühlsbarometer zwischen sichtbar und unsichtbar. Was aber die Schützefrau in mir dann wieder in Rage bringt. Sie hat immer wieder Angst, unscheinbar zu werden, was bei einer Frau von Format eher unwahrscheinlich ist. 🙂 Ich arbeite noch an Strategien für meinen Selbstschutz, die kräfteschonend, wirkungsvoll und effizient sind.

Voll50: Wofür sollte man mit voll50 eine Fünftagewoche auf eine Siebentagewoche ausdehnen?

Michaela Ziegler: Konfuzius wird der Satz zugeschrieben: „Wenn Du liebst, was Du tust, wirst Du nie wieder in Deinem Leben arbeiten.“ Ich träume von einer Welt, in der wir mit dem, was wir lieben, unser Leben finanzieren, unseren Talenten Raum geben können und diese nicht im Arbeitsalltag beiseite geschoben werden müssen. Wenn wir die Chance haben, dass der Beruf und daraus resultierend die Arbeit mehr der Berufung folgen dürfen als der Notwendigkeit, den Lebensunterhalt zu sichern – wobei das eine das andere nicht ausschließt, aber nicht die Regel ist -, dann würde ich auf jeden Fall für die Siebentagewoche plädieren. Ich bin fest der Überzeugung, dass es unserer Gesellschaft und auch der Wirtschaft in jeder Hinsicht gut tun würde, wenn Arbeit auch zur ausübenden Person passt.

VOLL50: Wo erlebst Du einen Zustand der inneren Ruhe?

Michaela Ziegler: Ich sollte nun wohl antworten bei Meditation und Yoga 🙂 So ist es aber nicht. Es sind Momente, wie mit meinen Katerbuben am Sofa liegen und sie es sich auf oder neben mir gemütlich machen (was nicht immer gemütlich für mich bedeutet, wie mitlesendes Katzenpersonal bestätigen kann). Wenn ich auf meiner Terrasse sitze, rundum Stille herrscht und ich einfach nur schaue und atme und die Vögel im Flieder beobachte. Wenn ich mit einer lieben Freundin spazieren gehe, in der Natur bin, alles wie mit Kinderaugen betrachten und sich die Welt einmal für eine gewisse Zeit nicht mit Hochgeschwindigkeit dreht.

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Naseweise Tage

Ich könnte aktuell über Tausend Sachen schreiben, was leider zur Folge hat, dass ich mich für eine davon entscheiden muss. Mit einer vollen Nase fehlt der Riecher für das richtige Thema, weshalb ich schon jetzt für thematische Verfehlungen auf ihre Großzügigkeit hoffe.

Die Kreativität beginnt sich zu entfalten

Mutig nennt Renate Fuchs-Haberl die Situation von „Voll50“-Frauen beim Namen, bringt sie zusammen und entwickelt daraus ihre ganz eigene Sicht auf das Leben.

VOLL50: Worin liegt die Stabilität mit voll50?

Renate Fuchs-Haberl: Meine Stabilität ruht auf verschiedene Säulen. Die stärkste davon ist meine Verbindung zu Mutter Erde und ihren Kräften. Durch meine intensive, persönliche und berufliche Beschäftigung mit dem Jahreslauf und den Zyklen der Natur fühle ich mich eingebunden, getragen und genährt vom „Netz des Lebens“. Je älter ich werde, desto kraftvoller erlebe ich mich als Teil der Natur, als Tochter der Erde.

Eine wichtige Säule ist für mich auch das Wissen um unsere weibliche Kulturgeschichte, um unsere großen Vorgängerinnen. Das schamanisch-matriarchale Weltbild, in dem Frauen, die nicht mehr bluten, als die weisen Frauen des Volkes verehrt und geachtet werden, schenkt mir die Erkenntnis, als reife Frau nicht „zum alten Eisen“ zu gehören, wie dies die gängige Rollenzuschreibung im Patriarchat für „voll50“-Frauen ist, sondern eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe in der Weitergabe des alten Frauenwissens an die jüngeren Generationen innezuhaben.

VOLL50: Was verlässt Du gerne?

Renate Fuchs-Haberl: Deshalb verlasse ich am liebsten die Rollendefinitionen, welche das Patriarchat für uns „voll50“ und generell für Frauen parat hat. Ich bringe in meinem Tun die Heilige wieder mit der Hure zusammen, die katholische Maria mit der vorchristlichen Göttin. Auch in meinem persönlichen Leben verlasse ich gerne die Schubladen, in die mich Menschen einsortiert haben, indem ich verschiedene Facetten des Frauseins lebe und mich in den unterschiedlichsten Kreisen bewege.

VOLL50: Was ist mit voll50 wichtiger: Korrektheit oder Coolness?

Renate Fuchs-Haberl: Das kommt darauf an, wie frau mit „voll50“ diese Begriffe für sich definiert. „Korrektheit“ im Sinne von Wahrheit, Wirklichkeit, Gerechtigkeit und Solidarität erachte ich als zentral wichtige Eigenschaften, sowohl auf der gesellschaftlichen Ebene als auch mir selbst gegenüber. „Coolness“ in der Bedeutung von Ausgeglichenheit, Ungezwungenheit, Selbstverständlichkeit, Gleichmut und Bedachtsamkeit geben mir auf meinem Frauenweg einen tragfähigen Boden, auf dem viele meiner Schritte leichter fallen. Deshalb bin ich auch bei diesen beiden Begriffen fürs Vereinen und Verbinden.

VOLL50: Wann gibst Du das Optimieren auf?

Renate Fuchs-Haberl: Auch bezüglich dem „Optimieren“ stelle ich mir als erstes die Frage, was will ich darunter verstehen, auf welchen Bereich meines Lebens beziehe ich es und wieso will ich diesen oder jenen Bereich meines Lebens gestalten, verbessern, überarbeiten, umgestalten und zur Entfaltung bringen oder auch nicht. All das hat für mich viel mit gelebter Kreativität zu tun, die sich aus mir grade nun im Wechsel wieder verstärkt zu entfalten beginnt. Deshalb stellt sich für mich mit „voll50“ viel mehr die Frage, wo ich noch mehr von dieser gestalterisch-schöpferischen Frauenkraft in mein berufliches und privates Leben einfließen lassen kann.

VOLL50: Welchen Zusammenhang siehst Du zwischen stehen und verstehen?

Renate Fuchs-Haberl: Um wirklich und wahrhaftig zu mir selbst stehen zu können, muss ich verstehen, was mit mir als Frau im Patriarchat über Generationen passiert ist. Wieso meine Mutter, meine Großmütter so geworden sind, wie sie sind. Wie sich die ihnen eingepflanzten Glaubenssätze, ihre Traumatisierungen, ihre Erfahrungswelten bis heute auf mich auswirken. Seit ich diese Zusammenhänge mehr und mehr verstehe und wie all das dem Patriarchat dient, kann ich diese Prägungen Schritt für Schritt erkennen, anschauen, hinterfragen und heilen und damit wirklich für mich selbst als die Frau, die ich bin und sein will, einstehen.

www.wildmohnfrau.at

„S’is like this“

Vor einiger Zeit habe ich eine neue Funktion übernommen, die sich viel mit Gruppendynamik und interpersoneller Kommunikation beschäftigt. Dabei die Position der Frau im Mond einzunehmen, hilft ungemein.

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