Sommer der Liebe

Was für ein Sommer! Für Sie auch? Und das in Zeiten, von denen es immer heißt, es wäre vieles nicht möglich. Wäre noch mehr möglich gewesen, wäre ich vermutlich zum Schreiben dieser Zeilen nicht mehr fähig.

Ein respektables Weib

Elfriede Grömer ist nicht nur bei Schönwetter loyal und immer dann charismatisch, wenn sie Menschen erreichen kann. Und sie ist dankbar für jede Enttäuschung, die ihr widerfährt.

VOLL50: Wann gehst Du die Dinge langsam an?

Elfriede Grömer: Es kommt darauf an, ob ich mit ganzem Herzen bei der Sache bin oder ob es sich um profane Dinge des Alltags handelt. Letztere schiebe ich gerne ein wenig vor mich hin. Solange ich mich kenne, habe ich Herzensangelegenheiten ohne Umschweife oder langes Überlegen angepackt. Dazu gehört absolut und in erster Linie die Musik und derzeit mein Naturstammhaus-Projekt. Das hat sich mit Voll Fünfzig nicht verändert, ist eher noch dringlicher geworden, weil mir meine Endlichkeit immer mehr bewusst wird. Behördenkram würde ich manchmal gerne auf den St.Nimmerleinstag verlegen, wenn es nur ginge. Wenn es sich jetzt um Zwischenmenschliches handelt, überlege ich genau, wie viel Nähe ich zulassen will und halte mich sehr zurück. Da kann schon einmal ein halbes Jahr vergehen, ohne dass ich Kontakt suche. Damit stoße ich sicher öfters jemanden vor den Kopf, aber das liegt daran, dass ich mit Hals-über-Kopf-Beziehungen sehr schlechte Erfahrungen gemacht habe.

VOLL50: Wie gestaltet man mit Voll Fünfzig am Besten die Zukunft?

Elfriede Grömer: Nichts aufschieben, was Freude macht! Sich ein gewisses Phlegma aneignen! He, du hast es geschafft, so halbwegs gesund und fit den finalen Lebensabschnitt zu erreichen. Die Aufreger von Gestern sind Schnee von Gestern. Das scheint zwar sehr egoistisch zu sein, aber verdammt! Wer hat uns das Recht auf gesunden Egoismus abgesprochen? Muss Frau, sobald sie des Alltagstrotts und der Dreifachbelastung ledig ist, sich sofort in die nächste Dreifachbelastung stürzen? Wer oder was befiehlt uns, dass wir ab dem Rentenalter die Uralten, Säuglinge und Kleinkinder und diverse einsame NachbarInnen zu betreuen haben? Das heißt nicht, dass ich es gerne von Zeit zu Zeit und in dringenden Fällen mache, aber nicht als Vollzeitpflegekraft ohne Entlohnung. Wann fände ich dann die Zeit für meine Musik, den Spanischkurs, die Walkingrunden mit der Freundin, für das Malen und Schreiben und fürs Sechseck-Rundstammhäuschen mit Autarkiekonzept? All die Dinge, die wirklich lange in mir schlummern mussten und jetzt mit aller Kraft heraus brechen.

VOLL50: Wie viel Hoffnung steckt in Enttäuschung?

Elfriede Grömer: Das Wort ‚Enttäuschung‘ birgt in sich schon Magie. Es hebt den Schleier der Selbsttäuschung, und das ist heilsam. All die Enttäuschungen meines Lebens haben mich vieles gelehrt. Erstens bewusster hinzusehen bei allzu freundlichen Personen. Zweitens nicht gleich alles zu glauben und bei Zweifeln nachzubohren und zu hinterfragen. Im Grunde passieren mir Enttäuschungen, wenn ich Erwartungen habe, die relativ unrealistisch sind. Ich danke dem Leben für jede Enttäuschung, sie haben mich zu dem respektablen Weib gemacht, das ich jetzt bin.

VOLL50: Hat Frau mit Voll Fünfzig gelernt, ihr Charisma einzuschätzen?

Elfriede Grömer: Sobald ich authentisch bin, spüre ich, dass ich Menschen erreichen kann. Zum Beispiel als eine Hälfte des Duos Hollapercht, das ich mit meiner Schwester Christiane gegründet habe. Dank der Gabe, mich selbst nicht tierisch ernst zu nehmen, gelingt es mir ganz gut, mit meinem Charisma umzugehen und es bei Auftritten bewusst einzusetzen. Es war zwar ein langer Prozess, denn als junge Frau habe ich meinem Charisma nicht vertraut, mich im Gegenteil immer gewundert, weshalb ich manchmal plötzlich Mittelpunkt war. Dabei machte ich die Entdeckung, dass ich in diesen Situationen völlig losgelöst, unbeschwert und charmant war, sozusagen die Sau heraus gelassen habe. Ich darf nur den Zeitpunkt nicht übersehen, wenn ich in Schwung bin, mich wieder zurückzunehmen. Denn wie bei allen Dingen, ist allzu viel eher ungesund.

VOLL50: Wann wird Loyalität zum Kampf?

Elfriede Grömer: Wenn der geliebte Mensch, hinter dem ich immer voll und ganz gestanden bin, den ich gegen Anfeindungen verteidigt und bei allem unterstützt habe, sich plötzlich total von mir lossagt. Es erfordert schon eine Eselsgeduld, weiterhin loyal zu bleiben und nicht an dem zu zweifeln, was uns bisher verbunden hat. Ab und zu kommt mir zu Ohren, dass genau dieser Mensch in der Öffentlichkeit schlecht über mich spricht, aber auch da bin ich eher jemand, der erst selbst nachfragt, was dahinter steckt, bevor ich Gerüchten glaube. Die letzte Option ist, sich von der Person loszusagen, und einige Male hab ich schon ewig lange zugesehen, bis ich diesen endgültigen Schritt gewagt habe. Doch dann ist es wirklich endgültig! Schwierig sind auch die Situationen, wenn sich alle Welt gegen jemanden verschworen hat, den ich sehr mag, schlimme Dinge von der Person behauptet werden und ich scheinbar die Einzige bin, die noch zu ihr hält. Dann: siehe Strategie Nummer Eins. Nachfragen, was davon wahr ist. Wenn es um Familie geht, ist Loyalität sowieso eine Frage der tiefen Verbundenheit und obligat. Außer es ist Gewalt im Spiel oder krankhaftes Suchtverhalten, bei dem man die geliebte Person wirklich fallen lassen muss, um ihr die Chance auf Rettung nicht zu verbauen. Das ist mir zum Glück in meinem Leben erspart geblieben und darum stand meine Loyalität noch nie auf dem härtesten Prüfstand.

Rebellion mit Ablaufdatum

Vor ein paar Tagen hatte ich wieder einmal das Glück, Zeit mit meinem Jüngsten zu verbringen. Und wie das so ist, wenn Generationen aufeinandertreffen: Die eine oder andere Erkenntnis springt dann doch dabei heraus. Für mich.

Gedenk-Gewitter

Im Grunde möchte ich dauernd über den gesellschaftlichen Diskurs bezüglich „der Impfung“ schreiben, doch Selbstdisziplin bedeutet auch: Es gibt noch anderes, Erfreuliches.

„Willen zurückstecken, aber immer in Freiwilligkeit und in Bewusstheit“

Fotocredit: GABRIELE SCHWAB https://www.lightup-photography.com/

Claudia Lämmermayer ist viele Umwege gegangen und dadurch in ihre Kraft gekommen. Nicht zuletzt deshalb plädiert sie für ein neues Selbstbild der „alten, weisen, und sinnlichen“ Frau, das sehr bunt sein darf.

VOLL50: Wie aktiviert man sich mit „voll50“, wenn man einmal gaaaaar nicht mag?

Claudia Lämmermeyer: Gaaaaar nicht mehr! Entweder ich mache was gerne oder gar nicht. Ich habe in meinem Leben mit viel Mühe und Reflexion erreicht, das ich jetzt mit fast 60 auch nicht mehr mögen muss. Meine Vergangenheit war eine Geschichte des „Müssens“. Aufgewachsen bin ich in einer Arbeiterfamilie mit einem gewalttätigen Vater, einer bedürftigen Mutter und einem Nachbarn, der mich vom 6. Lebensjahr an sexuell missbrauchte. Da war es für mich überlebensnotwendig, nicht zu fühlen und immer zu mögen! Mein unerschütterlicher Glaube an Entwicklung, unzählige Therapiestunden, meine gute Anbindung an die Welt des Spirituellen, wunderbare Menschen und das Leben an sich haben mich heil gemacht. Es war ein langer Weg. Zuerst ging es darum, die eigenen Wünsche erst mal zu fühlen und dann auch noch sie umzusetzen. Da waren schon auch einige Umwege dabei.

Jetzt bin ich in der glücklichen Lage, dass ich mich zu nichts mehr aktivieren muss. Natürlich brauchen die Notwendigkeiten des Lebens, wie zum Beispiel die Buchhaltung oder die Katzenkiste auszuräumen, etwas Disziplin, aber damit hat es sich auch schon. Das Gefühl von Antriebslosigkeit kenne ich nicht. Ich durfte keine höhere Schule besuchen und bin mit 16 daheim ausgezogen. Jetzt liebe ich es zu lernen und in meinem eigenen Unternehmen DIE Arbeit zu machen, die mir Sinn, Freude und Erfüllung bringt. Meine Umwelt unterstellt mir, dass mein Tag 48 Stunden hätte. Das wäre so genau das Richtige für mich. Und damit ich alle meine Leidenschaften noch unterbringe, habe ich mir vorgenommen, dass ich mindestens guterhalten 100 Jahre alt werde.

VOLL50: Welches „ich bin“ in Deinem Leben mochtest du bislang am liebsten?

Claudia Lämmermeyer: Zu 100 Prozent das jetzige. Denn je reifer ich werde, desto authentischer bin ich, und so wie ich jetzt bin, kann ich mich wirklich gut leiden. Ich genieße dieses ICH BIN im Hier und Jetzt wirklich sehr. Durch meine unendliche Neugier hole ich mir viel Buntheit in mein Leben. Und mit einer gehörigen Portion Humor mache ich auch oft verrückte Dinge. Eine Firma gründen, den LKW-Führerschein machen, griechische Musik singen, alternative Hochzeiten und Taufen zu organisieren, Vulven aus Filz zu nadeln, Märchen zu schreiben und vieles mehr. Auf der Suche nach (m)einer spirituellen Heimat bin ich auch gleich zweimal aus der katholischen Kirche aus- und wieder eingetreten. Würden die Kirchenmänner die Ordination für Frauen erlauben, wäre ich vermutlich auch noch Pfarrerin geworden. Obwohl – als feministische Theologin war es mir schon auch bald klar, dass die eingeschränkte Sichtweise der christlichen Religion zu wenig ist. Ein nur männliches Gottesbild geht gar nicht mehr. Ergänzt durch die matriarchale Spiritualität habe ich jetzt zu einem wirklich feinen Glauben und Vertrauen in die göttlichen Welten gefunden. Das erdet mich, gibt mir Kraft und Liebe! Und vielleicht gründe ich ja noch eine neue Religion – wer weiß? Ich bin in den besten Jahren. Ich erlaube mir auch, täglich zu entscheiden, ob etwas gut für mich ist. Nachzufühlen, ob es lustvoll, sinnvoll ist, ob es Spaß macht, Geld bringt… Diese Freiheit empfinde ich als wirkliches Geschenk. Ich fühle eine große Dankbarkeit für mein jetziges Leben.

Ich bin auch unerschrocken genug, um Ungerechtes anzusprechen und dafür auch aktiv zu werden. Speziell die Lebenswelten und die Ungleichbehandlung der Frau sind mir ein besonderes Anliegen. Das ewige Patriarchat hat hier leider tiefe Spuren hinterlassen.

VOLL50: Inwiefern ist man mit „voll50“ jenseits von Gut und Böse?

Claudia Lämmermeyer: Ich habe gerade mal überlegt, wie du die Frage meinst. Und ich habe mich entschieden, sie für den Bereich der Sexualität zu beantworten. Denn über Sexualität der Frauen wird viel zu wenig gesprochen. Das hat bei uns keine Tradition. Leider! Ich fühle mich sehr sinnlich und genieße und liebe erotisches Tun. Ich habe mich aufgrund meiner traumatischen Missbrauchserfahrungen mit dem Thema sehr lange beschäftigt. Mein Lebensthema war es, darauf zu warten, geliebt zu werden. Aber ich hatte mir Partner und Partnerinnen gesucht, die hier zum Glück nicht mitspielten. Denn dadurch war ich auf mich selbst zurückgeworfen und konnte erst mal die „alten“ Bedürfnisse erkennen und in mir klären. Ich begab mich auf die Suche nach Selbstliebe und Selbstakzeptanz. Es war und ist ein langer Weg! Bei einem ganz guten Pegel an Selbstliebe angekommen, erkannte ich dann auch, dass mir die standardisierte Sexualität in meiner Beziehung keinen Spaß mehr machte. Ich hatte keine Orgasmus-Probleme oder Berührungsängste, aber es passte einfach nicht mehr. Es war dann schon echt ein Ehrlichkeits-Kracher als ich sagte: „Stopp, gerne, aber so nicht“. Mit dieser Klarheit habe ich meinen Partner sehr verschreckt – bis jetzt! Ich liebe meinen Mann, aber das bekommen wir irgendwie gemeinsam nicht auf die Reihe. Vielleicht sind wir da einfach nicht kompatibel? Wir Frauen sollten uns nicht nur mögen oder gut finden, was wir denken und tun. Wir dürfen uns auch körperlich spüren, annehmen und uns selbst erotisch lieben. Ich höre dann oft: „Ach, der Sex ist mir nicht mehr so wichtig, das ist vorbei, das hat keine Bedeutung mehr.“ Aber bitte!!! Wie kann denn die körperliche Erfahrung mit mir selbst keine Bedeutung mehr haben? Ich glaube, das ist ganz viel Vermeidungsverhalten dabei. Es hat halt auch keine Geschichte, dass die Eigensinnlichkeit wirklich Raum haben darf.

Eine ganze Industrie ist darauf ausgerichtet, die „alte“ Frau – jenseits von Gut und Böse nicht alt werden zu lassen und fit zu halten, auf Hometrainer zu setzen, mit Verdauungskapseln zu füllen aber um was zu tun? Zu gefallen? Dem Panikbild der „alten Frau“ entgegenzustehen? Ja – aber warum? Ich denke, es gehört ein neues Selbstbild der „alten, weisen, und sinnlichen“ Frau her, das sehr bunt sein darf.

VOLL50: Wie könnte die ideale Verbindung zwischen Weisheit und Inspiration aussehen und gelebt werden?

Claudia Lämmermeyer: Inspiration ist mein zweiter Vorname – manchmal habe ich zu viel dieser Energie und sprudle über mit neuen Gedanken, neuen Produktideen. Ich bin da wie ein Radio, das auf Empfang steht und über die verschiedenen Kanäle Inputs bekommt. Die Kanäle können die nicht zufälligen Zufälligkeiten sein oder ein göttlicher Download oder ein Buch, eine Begegnung… Inspirationen kommen auf mich zu!

Mit der Weisheit ist es da nicht ganz so einfach. Weisheit wächst im Innen. Das ist nichts, was ich wirklich erlernen könnte. Sie entsteht über meine Erfahrungen. Es hat mich durchs Leben gebeutelt, und wenn ich das Erlebte reflektieren und in ein gutes Leben umändern kann, dann komme ich in die Energie von Weisheit. Aber wer definiert, ob das nun weise ist? Weisheit wird gerne mit dem „Alter“ in Verbindung gebracht. Ich bin jetzt 50+. Bin ich dadurch weise? Was macht mich weise? Ich kenne so viel superbescheuerte 50,60,70+ Menschen, dass ich nicht denke, dass Weisheit mit dem Alter automatisch kommt.

Was mir aber gut gefällt ist das System der Archetypen. Hier beginnt die junge Frau in ihrer weißen Qualität mit der Inspiration, die übernommen wird von der rote Frau der Umsetzung und die in der Blüte ihres Lebens steht. Diese Dreifaltigkeit führt dann über in die weise Alte, die in der letzten Triade reflektiert, zurückschaut, Abschied nimmt… und wieder neu geboren wird in der jungen Frau. Körperlich können wir diesen Zyklus nur einmal machen, aber emotional, in Projekten, in mentalen Angelegenheiten ist das ein wunderbares Kommen-Sein-Vergehen – UND wieder Kommen!

VOLL50: Welche Rolle spielt der eigene Willen mit „voll50“?

Claudia Lämmermeyer: Eine große Rolle. In meiner Jugend war ich nämlich ein willenloses Wechseltierchen. Hatte ich einen Freund mit einem Pferd, fing ich zu reiten an, hatte ich einen belesenen Partner, kaufte ich mir Rilke (ohne ihn zu lesen) und mit meinem Biologen ging ich in den Wald, um Knospen zu bestimmen. War ich bei Diskussionen mit dabei, hielt ich mich vornehm zurück, da ich sehr oft keine Idee hatte, was ich dazu sagen sollte. Es kam in meinem Leben zu allerlei schrägen Entscheidungen. Mit 16 mietete ich ein Abbruchhaus und machte eine WG draus. Mit 17 dachte ich, es wäre cool als Prostituierte zu arbeiten und hatte bereits einen Freund, der mich an seinen Freund „vermieten“ wollte. Dann schlitterte ich mit einem sehr jähzornigen Mann in meine erste Schwangerschaft, um kurz darauf in Wien die Abtreibung durchführen zu lassen. Damals sang ich in einer Country-Band und war ziemlich dynamisch unterwegs. Hättest du mich damals gefragt „Welche Rolle spielt dein eigener Wille!“ wäre meine Antwort gewesen „Ich mache ja eh, was ich will.“ Natürlich spürte ich, dass etwas nicht stimmte, aber es war mir noch nicht möglich, das zu erkennen.

Heute, nach vielen Jahren der Aufarbeitung und Klärung, denke ich zumindest, dass ich in großen Teilen meines Lebens weiß, was ich will, wobei ich bei vielen Entscheidungen sehr unkompliziert bin. Wenn ich allerdings meine Freiheit, Autonomie oder Gleichberechtigung bedroht sehe, dann kommt meine innere Tigerin zum Einsatz, und ich erkläre lautstark, was mein Wunsch, mein Wille ist. Ich kann gut Kompromisse mittragen – besonders wenn sie dem Gemeinwohl dienen. Ich kann geben und meinen Willen zurückstecken, aber das passiert immer in Freiwilligkeit und in Bewusstheit. Es ist ein gutes Gefühl, zu spüren, dass der Wille da ist und gelebt werden kann oder in Freiheit zurückgenommen wird.

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Who cares?

Ich hatte mir viel vorgestellt, meine Phantasie wieder eingefangen und beschlossen, offen zu sein. Dass ich dann diejenige sein würde, die sich zurückhält, war ein Aha-Erlebnis.

Hippiemädchen, Rockerbraut und Rebellin

Wenn wir etwas mit voll50 wissen, dann das: Wir sind viele…Rollen. Susanne Erhardt spricht darüber, aber auch über die positive Rolle des Dramas im Leben und disziplinierte Eigenverantwortung.

VOLL50: Wie kann mit „voll50“ ein kreativer Umgang mit dem Leben aussehen?

Susanne Erhart: Ich denke, es ist hilfreich, wenn man sich über eines im Klaren ist: Nix – aber schon gar nix – is fix. Sich immer wieder überraschen lassen – durchaus auch von sich selber. Offen sein für das, was kommt. Im Heute leben und nix aufschieben. Gespannt & spannend bleiben. Mein Bestes geben und drauf vertrauen, dass es dann schon alles gut sein wird, so, wie es kommt. Oder, wenn es nicht so gut kommt, darauf vertrauen, dass man dann damit umgehen können wird. Sich belohnen, wo immer es geht (extrem wichtig!). Das Alter – diese ominöse, absolut nichtssagende Zahl – nicht als Maßstab und schon gar nicht als Ausrede sehen. Und ganz wichtig: In sich rein fühlen, welcher innere Anteil gerade gehört werden möchte. Und hey, da stecken ja dermaßen viele Facetten in uns großartigen Ü50erinnen: das Mädchen, die junge Frau, die erwachsene (schon fast weise) Frau. Ich persönlich hab dann noch ein Hippiemädchen, eine Unternehmerin, ein Cowgirl, eine Rockerbraut und eine Rebellin in mir drin – aber das ist eine andere Geschichte. Das ist meine Art kreativer Umgang mit dem Leben. Für mich klappt das ganz gut.

VOLL50: Wie gehen Liebe und Freiheit zusammen?

Susanne Erhart: Auch wenn´s manchmal so aussieht, als würden Nähe und Freiheit sich spießen – in einer perfekten Welt gehen die beiden nie ohne einander! Aber welche Welt ist schon immer perfekt. Das Nähe-Enge-Thema wird jedenfalls intensiver. Dem anderen seine Freiheit lassen – aber nicht auf Kosten der eigenen – das ist schon eine hohe Kunst. Irgendwie ist es – je nach Tagesverfassung – ein ständiger Spagat zwischen Nähe und Unabhängigkeit. Zwischen dem Bedürfnis nach Freiheit und dem Wunsch nach dem Zusammen-Altwerden. Dem Bedürfnis nach totaler Verschmelzung und dem nach dem Ausleben von individuellen Interessen. Mal klappt das besser, mal schlechter. Das ist schon okay so.

VOLL50: Wann hört mit „voll50“ die Lust aufs Drama auf?

Susanne Erhart: Mein erster Impuls beim Lesen der Frage? Na hoffentlich nie! Drama Baby!! Weil: Drama kann ja auch durchaus spannend sein– es gibt dem Leben Würze. Aber – und das war der zweite Impuls – ich würde mir die Dramen vielleicht nicht mehr gar so dramatisch wünschen. Wenn´s leicht geht … bitte. Wobei: Die meisten vermeintlich großen Dramen meines Lebens haben sich im Rückblick als unglaubliches Glück und auch als richtungsweisend erwiesen. Auch wenn das erst mal absolut nicht den Anschein hatte. Das Geheimnis ist, den Zeitraum der Rückschau – dem Drama angemessen – lang genug zu wählen. Manchmal braucht es halt auch durchaus ein paar Jahre, bis sich einem der Sinn erschließt. Aber dieses Wissen allein ist schon recht tröstlich, wie ich finde.

VOLL50: Braucht frau für Eigenverantwortlichkeit Disziplin? Und warum (nicht)?

Susanne Erhart: Eines meiner Lieblingsthemen! Ja, es braucht Disziplin. Und zwar jede Menge. Aber sie darf nicht dazu missbraucht werden, ständig über ungesunde Grenzen zu gehen und sich auszubeuten, sondern vielmehr dazu, im Gegenzug wieder herrliche Freiräume zu erschaffen.

Aber auch in anderer Hinsicht beschäftigt mich das Thema Disziplin gerade. Es hat mit der Disziplin meiner Gedanken zu tun. Ich habe mir angewöhnt, immer mehr zu hinterfragen, welche meiner Gedanken förderlich und gut sind. Für mich, aber auch für andere. Das erfordert richtig viel Disziplin – und Ehrlichkeit! Wir denken ja gerne immer wieder mal Dinge, die uns oder auch anderen um uns herum nicht gerecht werden, nicht gut tun, und die uns auch absolut nicht weiter bringen. Auch diese Gedanken-Disziplin gehört für mich zur Eigenverantwortlichkeit. Ich bin darin noch lange nicht perfekt, aber allein die Auseinandersetzung mit diesem Thema verändert meinen Blick auf die Dinge. Macht ihn und somit mich gelassener und mein Urteil milder. Und das schadet keineswegs.

VOLL50: Welches Spiel sollte frau mit „voll50“ auf jeden Fall beherrschen?

Susanne Erhart: Wie war das? „Menschen hören nicht auf zu spielen, weil sie alt werden, sie werden alt, weil sie aufhören zu spielen“.(Oliver Wendell Holmes) Das sagt eigentlich schon alles. Und das kommt mir sehr entgegen, weil das Spielerische aus meinem Leben nicht wegzudenken ist. Es gibt meinem Alltag die erforderliche Leichtigkeit, hilft, die Dinge von ganz vielen Seiten zu betrachten und bringt mich auf manch kreative, durchaus auch unkonventionelle Lösungsidee. Welches Spiel konkret? Das bleibt dann jeder von uns selbst überlassen. Nur aufhören sollte man damit nie.

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„Nicht abhängig zu machen von Meinungen anderer“

Wer sich frei von Prägungen macht, wird mit einer Kaskade von neuen Möglichkeiten belohnt, sagt Marion Falzeder. Ihr jüngstes Abenteuer: das Enkerl.

VOLL50: Wann führt Disziplin automatisch zu Konzentration?

Marion Falzeder: Hm, jetzt sollte ich wohl antworten, dass ich mit 50 natürlich immer diszipliniert bin und über die Jahre gelernt habe, dass Disziplin in manchen Bereichen hilfreich ist. Aber leider bin ich nach 53 Lebensjahren manchmal immer noch bequem, unordentlich oder zu faul, zum Beispiel diszipliniert meinen Kleiderschrank in Ordnung zu halten. Wie das andere schaffen, weiß ich nicht, aber sobald ich ein T-Shirt rausziehe, sind sämtliche andere krumm und schief. Bei meiner Mutter ist immer alles perfekt wie mit dem Lineal gezogen, aber bei mir funktioniert das nicht. Erst wenn ich wirklich etwas fertigbringen muss, ein Termin ansteht oder ein Vortrag zum Abgeben ist, dann werde ich diszipliniert und hochkonzentriert. Ein gewisser Druck muss bei mir vorhanden sein, dann klappt es auch mit beiden 😉. Wie oft ich mir das in meinem Leben schon vorgenommen habe, früher anzufangen, damit ich keinen Stress zum Schluss habe – ich bin in dieser Sache lernresistent. Auch aus der Schulzeit kenne ich das noch sehr gut, am Tag vor der Schularbeit, war ich am konzentriertesten und sehr diszipliniert. Während der Studienzeit war meine Wohnung nie sauberer als vor einer Prüfung … das war mir der Haushalt sogar lieber, als zu lernen. Wenn ich viel zu tun habe und alles fertig werden muss, dann ist meine innere Uhr automatisch auf Frühaufstehen programmiert, und ich bin täglich um spätestens 5.00 Uhr munter. Ich bin ein Morgenmensch und um diese Zeit geht es dann auch am besten mit der Konzentration. Aber wie gesagt, ein bisserl Druck ist nötig.

VOLL50: Wovon sollte frau mit „voll50“ auf keinen Fall abhängig sein?

Marion Falzeder: Für mich war immer klar: Ich möchte nie von einem Mann abhängig sein und mein eigenes Geld verdienen. Viele Jahre am AMS und dann später in der Abteilung für Frauenförderung an der JKU haben das verstärkt. In einer Beziehung ausharren zu müssen, weil es sich finanziell nicht ausgeht, sich zu trennen, möchte ich mir als freiheitsliebenden Menschen nicht vorstellen. Ich hatte das Glück, dass mein Mann meine Lebenspläne immer mitgetragen hat und mich selbstverständlich in der Verwirklichung meiner Wünsche unterstützt hat. Ich habe neben den Kindern zu studieren begonnen, meinen Beamtenjob zu Gunsten einer Veränderung an der Universität Linz aufgegeben und dann nochmals den Sprung in das Ungewisse gewagt, um nur mehr meine Schwimmschule zu managen. Danach folgten noch Ausbildungen in Cranio-Sakraler-Körperarbeit und einer speziellen – auch körperorientierten – Methode zur Bewältigung von Traumata (Somatic Experiencing). Lange war ich in dem Korsett meiner Erziehung verhaftet, dass man einen Beamtenjob nicht aufgeben kann, und ich traute mich nicht, nur daran zu denken, dass mich diese Arbeit nicht mehr glücklich macht. Als ich es endlich gewagt habe, dort zu kündigen, war es eine so große Befreiung, die eine Kaskade an neuen Möglichkeiten losgetreten hat. Ich möchte allen Mut machen, sich nicht abhängig zu machen von Meinungen anderer, von Wertvorstellungen der Familie, sondern auf sein Herz und Bauchgefühl zu hören, was einem gut tut.

Die beiden Ausbildungen zur Körperarbeit haben mir viel geholfen, besser wahrnehmen zu können, wo meine Grenzen sind und was ich verändern muss, um mich wohler zu fühlen. Wenn sich Gelegenheiten bieten im Leben, wo es einen richtig hin sehnt, wo das Herz aufgeht und das Baucherl warm wird, wenn man daran denkt, dann ist es wert, dort näher hinzusehen. Meine Gelegenheitsfenster haben sich weit geöffnet, immer wieder, bis ich mutig genug war, sie wahrzunehmen, und ich bin heute sehr froh darüber, dass ich mich von den Idealen meiner Eltern frei machen konnte.

Ich bin glücklich, meine Talente in den Schwimmkursen mit Babys und Kindern einbringen zu dürfen. Meine Ausbildungen helfen mir, unterstützend in der Bewältigung von Wasserangst zu sein oder Babys einen bessern Start ins Leben zu ermöglichen, wenn Schwangerschaft und Geburt ein traumatisches Erlebnis waren. Das ist sehr erfüllend für mich. Ich kann mir meine Zeit nahezu frei einteilen und bin auch hier weniger abhängig von strikten Zeitkorsetten, was meinem persönlichen Zeitmanagement gut tut. Mit voll50 merke ich nämlich immer mehr, dass ich nicht mehr so schnell bin wie früher, aber auch nicht mehr so schnell sein mag wie früher.

VOLL50: Wofür gibt es Langeweile?

Marion Falzeder: Was ist Langeweile? Schon als Kind war ich eine Leseratte und rundum glücklich, wenn ich in einer Ecke sitzen konnte, um zu lesen. Auch heute ist mein Alltag so ausgefüllt, dass ich Langeweile nicht kenne. Im Gegenteil, ich muss mir Zeitinseln schaffen, damit ich mir auch eine „lange Weile“ an Nichtstun gönne. Diese Zeit brauche ich, um mein Inneres hören zu können. Im Alltag überhöre ich da viel und nehme mir nicht die Zeit, richtig hinzuspüren. Der Körper braucht aber diese Muße-Minuten, um erzählen zu können, was ihn bewegt. Er muss seine Geschichte erzählen dürfen, damit er Stress loswerden kann oder sich negative Erlebnisse auflösen dürfen. Alles, was uns zu schnell, zu intensiv oder zu heftig passiert, wird mit dem Verstand kaum verarbeitet, aber im Körpergedächtnis abgespeichert. Wenn das nicht beachtet wird, können sich verschiedene Symptome entwickeln, körperliche und psychische Probleme können die Folge sein. In der Cranio-Sakralen Körperarbeit und im Somatic Experiencing lehren wir die Menschen, wie wichtig es ist, hinzuhören in den Körper, seinen Geschichten zu lauschen, seiner Ausdrucksmöglichkeit Raum zu geben. Wenn einem langweilig ist, wäre das eine gute Möglichkeit, sich dafür Zeit zu nehmen, um sich was Gutes zu tun. Man glaubt gar nicht, was einem da alles erzählt wird 😉.

VOLL50: Welches Buch sollte man mit „voll50“ unbedingt gelesen haben?

Marion Falzeder: Als Vielleserin gibt es für mich unzählige Bücher, die es wert sind, gelesen zu werden. Es ist aber sehr subjektiv, was gefällt und was nicht. Während ich Krimis liebe (sie dürfen ruhig auch etwas blutrünstig sein 😉), mag das meine Freundin gar nicht. Unbedingt lesenswert ist auf jeden Fall Peter Levines „Sprache ohne Worte“, das mir viele AHA-Erlebnisse und wertvolle Erkenntnisse während meiner Trauma-Ausbildung beschert hat. Sehr inspirierend empfand ich „Briefträgerkind“ von Oskar Kern. Als Manager hat er in diesem Buch seine Lebensweisheiten sehr unterhaltsam zusammengefasst, die er von seinen Eltern gelernt hat. Diese waren Landbriefträger in einer kleinen Gemeinde im Mühlviertel, und deren Erlebnisse haben mich sehr daran erinnert, was auch ich von meinen Großeltern lernen durfte. Ein sehr kurzweilig geschriebenes aber lehrreiches Buch, durch die kurzen Kapitel eine perfekte Bettlektüre.

VOLL50: Wie lange ist dein letztes Abenteuer her?

Marion Falzeder: Mein Mann und ich sind sehr gerne unterwegs, seit einem halben Jahr mit einem alten Wohnmobil. Da wird jede Reise ein kleines Abenteuer, denn irgendwas ist immer, wenn man abseits vom Trubel unterwegs ist. Ein richtig „großes“ Abenteuer haben wir mit den Kindern erlebt, die heute noch davon reden, obwohl es circa zwölf Jahre her ist. Statt Campingurlaub haben wir uns einmal einen All-inklusive-Club in Hurghada (Ägypten) geleistet. Unsere Jungs wollten aber unbedingt die Pyramiden sehen, daher buchten wir eine Fahrt dorthin. Wir wurden um 22.00 Uhr in einem alten klapprigen Bus mit vielen anderen eingesammelt, die ganze Nacht bis nach Kairo gefahren, dort noch in diverse Verkaufsgeschäfte geschleppt, bis wir endlich bei den Pyramiden ankamen. Retour war es wieder ähnlich 😉. Kommen wir jemals an? Hält der Bus das aus? Wird es irgendwo mal eine Toilette geben? Aber wir haben es überstanden, und für die Kinder war es ein richtiges Abenteuer. Die Pyramiden natürlich beeindruckend, wenngleich sie mittlerweile quasi mitten in der Stadt sind und die Verkäufer von Ramsch unglaublich lästig dort sind.

Für mich ganz speziell war die Fahrt vor circa 20 Jahren durch Albanien. Eine Zeitreise zurück in meine Kindheit mit schlechten Straßen, ganzen Familien samt Baby auf dem Moped fahrend und keine Kreditkartenmöglichkeiten. Sehr aufregend, spannend und interessant, da quasi noch kein Tourismus dort war und alles sehr ursprünglich ausgesehen hat! Das neueste Abenteuer, das am 4. Juni gestartet hat, ist die Zukunft als Oma. Durch meine Schwimmschule bin ich die Arbeit mit Kindern gewöhnt, und ich habe auch sehr viel Kontakt zu FreundInnen mit kleinen Kindern. Trotzdem ist das wieder ein neuer Schritt, der aufregend und berührend zugleich ist. Ich freue mich sehr auf diese Zeit und hoffe, eine Oma zu werden, zu der meine Enkelkinder gerne kommen werden.

www.nessie.at

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